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Sterbehilfe

Protestanten debattieren weiter über Suizidassistenz




Prominente Protestantinnen und Protestanten ringen um eine Linie im Streit über Suizidassistenz in kirchlichen Pflegeeinrichtungen
epd-bild/Werner Krüper
"Züge des Irrwitzigen": Der Theologieprofessor Günter Thomas warnt eindringlich davor, Suizidassistenz in evangelischen Einrichtungen zuzulassen. Der Hamburger Diakonie-Chef Ahrens indes sagt: Die Debatte muss offensiv geführt werden. Irmgard Schwaetzer, Präses der EKD-Synode, fordert eine Diskussion des Kirchenparlamentes über die Frage der Suizidassistenz in kirchlichen Heimen.

Der Vorstoß hochrangiger Theologen, Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen zu ermöglichen, sorgt weiter für heftige Diskussionen in der evangelischen Kirche. Der Theologieprofessor Günter Thomas kritisierte, die vorgebrachte Idee lege "die Axt an die theologischen Grundlagen der Diakonie". Auch der Suizid sei ein "Urteil über lebenswertes und nicht lebenswertes Leben", zu dem aus christlicher Sicht kein Mensch das Recht und die Einsicht habe. Der Hamburger Diakonie-Chef Dirk Ahrens sagte hingegen, die Debatte werde gebraucht. Man dürfe nicht versuchen, "die Diskussion unter dem Tisch zu halten".

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, spricht sich dafür aus, dass die umstrittene Frage von Suizidassistenz in evangelischen Einrichtungen im Kirchenparlament diskutiert wird. Die nächste Synode sollte sich mit dem Thema befassen, sagte die scheidende Präses dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Und zwar auch mit der theologischen Dimension nach der Reichweite der uns von Gott gegebenen Autonomie", ergänzte sie. In diesem Jahr wird eine neue EKD-Synode gebildet. Die konstituierende Sitzung ist für Mai geplant. Schwaetzer selbst sprach sich gegen Suizidassistenz in kirchlichen Häusern aus.

"Der assistierte Suizid gehört nicht in evangelische Einrichtungen", sagte die frühere Bundesministerin und ergänzte: "In Pflegeheimen und Hospizen wäre der Charakter dieser Einrichtungen, die auf ein menschenwürdiges Leben bis zum Schluss zielen, verändert und infrage gestellt". In einem Krankenhaus bestehe kaum die Zeit, sich ausreichend über die eigenen Vorstellungen von Leben und Tod in der konkreten Situation klar zu werden, sagte Schwaetzer.

Der Präsident des Diakonie-Bundesverbandes, Ulrich Lilie, hatte sich gemeinsam mit anderen Vertretern der Kirche für die Möglichkeit zur Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen ausgesprochen. Die offizielle Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schließt organisierte Suizidassistenz bislang aus. Die Hilfe beim Suizid, bei dem in der Regel Sterbewilligen ein todbringendes Medikament überlassen wird, ist zu unterscheiden von der aktiven Sterbehilfe, bei der ein Dritter das Mittel selbst verabreicht. Sie steht in Deutschland unter Strafe.

"Züge des Irrwitzigen"

Thomas erklärte am 17. Januar, es trage geradezu "Züge des Irrwitzigen", dass dieser Vorstoß inmitten der Corona-Krise publiziert worden sei. Während Mitarbeiter der Heime als Folge der Pandemie mit der Erschöpfung rängen, fielen ihnen protestantische Theologen in den Rücken, sagte der an der Ruhr-Universität in Bochum lehrende Professor und württembergische evangelische Pfarrer.

Thomas warnte vor einem Vertrauensverlust evangelischer Einrichtungen, sollten sie den Suizid unterstützen. Menschen müssten vertrauen können, dass sie auch dann, wenn sie sich in Not und Verzweiflung selbst nicht mehr trauen könnten, gut aufgehoben seien. Da kirchlich-diakonisches Handeln im Auftrag Gottes geschehe, müsse es sich an seinen Geboten orientieren.

Der Chef der Diakonie Baden, Urs Keller, sagte, für die Diakonie gelte weiterhin der Grundsatz "Wir lassen niemanden allein in seiner Not". Er sagte Keller in Karlsruhe dem epd, den Einrichtungen der Diakonie gehe es um Begleitung und Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen. "Als Anbieter von Suizidassistenz aufzutreten, verbietet sich", betonte Keller.

Allerdings müsse man auch die Autonomie der Menschen im Blick haben: "Jeder wird in seinem Selbstbestimmungsrecht ernst genommen", so Keller. Anders als früher werde heute aber auch viel mehr über die Möglichkeiten der Palliativmedizin gesprochen.

Ahrens: Debatte führen

Der Hamburger Diakonie-Chef Ahrens rief die Kirche dazu auf, die Debatte über Suizidassistenz offensiv zu führen. "Momentan werden Positionen von leitenden Geistlichen hochgehalten, die vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts formuliert wurden. Das geht nicht mehr", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ahrens ist auch Vorsitzender des Ausschusses Diakonie im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung.

Ahrens sagte, die Menschen vor Ort in den diakonischen Einrichtungen müssten konkret mit dem Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgehen. "Als Leitende müssen wir ihnen dabei helfen." Nicht zuletzt durch das Verfassungsgerichtsurteil sähen sich Einrichtungen in der ambulanten Pflege, in den Pflegeheimen und Krankenhäusern immer wieder mit dem Wunsch konfrontiert, dass Menschen ihr Leben beenden wollen.

Auslöser für die Debatte ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe im vergangenen Februar. Die Verfassungsrichter hatten den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen Recht gegeben, die sich gegen das 2015 verabschiedete Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung richteten. Die Karlsruher Richter erklärten das entsprechende Gesetz für nichtig und begründeten das mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaube.

Ziel müssen Schutzkonzepte sein

Wichtigstes Ergebnis der innerkirchlichen Diskussion müssten Schutzkonzepte sein, betonte Ahrens. "Darin liegt der Schlüssel, um Sorgen und Vorbehalte auszuschließen", sagte der Diakoniechef: "Der Tod darf weder zum Businessmodell noch eine leichte Variante werden, um anderen nicht mehr zur Last zu fallen." Man brauche Verfahren und eine Vorstellung davon, wie Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen überhaupt ablaufen könnte, "bevor wir entscheiden können, ob assistierter Suizid in diakonischen Einrichtungen denkbar wäre".

Corinna Buschow


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