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Frauen

Gewalt gegen Frauen in Deutschland ist durch Hierarchien geprägt




Ein Mann wird gegenüber einer Frau gewalttätig (Symbolfoto).
epd-bild/Steffen Schellhorn
Beziehungsdramen, Hassmorde: Immer mal wieder wird in den Medien von einzelnen Gewaltakten gegen Frauen berichtet. Diese Taten sind aber nur die Spitze des Eisberges. Denn die Gewalt zieht sich strukturell durch die ganze Gesellschaft.

Oberrimbach, irgendwo zwischen Würzburg und Nürnberg. Es ist Anfang Juli, eine junge Frau trifft sich mit ihrem Ex in der Nähe eines Waldes. Sie wollen sich aussprechen, doch die Situation eskaliert. Der 27-Jährige ersticht die 23-jährige Frau mit einem Messer und tötet sich danach an einer Bahnstrecke selbst.

So beschreiben die Behörden den Tathergang dieses "Beziehungsdramas", wie es in manchen Medien heißt. Etwa jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Jede vierte wird mindestens einmal in einer Partnerschaft Opfer körperlicher oder sexueller Übergriffe.

Abhängig vom Alleinernährer

Diese Gewaltakte haben Struktur, sagt Lilian Hümmler, Soziologin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. "Allgemein ist Gewalt nicht ohne Herrschaftssysteme denkbar", sagt sie. Die Hierarchien zwischen den Geschlechtern seien über Jahrhunderte gewachsen und kulturell sowie sozial geprägt. "So entstanden verschiedene Formen der Abhängigkeit", sagt sie. Beispiele hierfür seien Frauen, die nicht entlohnte Care-Arbeit wie Haushalt, Kindererziehung oder Angehörigenpflege leisten und somit an einen Alleinernährer gebunden sind, oder auch stark hierarchisierte Arbeitsplätze, die es unmöglich machten, Gewaltvorfälle zu thematisieren.

Dauerhaft gesichert sind diese Machtstrukturen laut Hümmler nicht. "Sie müssen immer wieder durchgesetzt werden", sagt sie. Gewalt entstehe dann "an den Bruchstellen der Macht, wie Hannah Arendt sagte", wenn also Männlichkeitsbilder infrage gestellt werden. Dies sei zum Beispiel in Trennungsprozessen oder rund um die Schwangerschaft der Fall, wenn der Partner wegen des Kindes nicht mehr im Mittelpunkt steht.

Gerade bei häuslicher Gewalt spiele zudem Kontrolle eine große Rolle, sagt Ksenia Meshkova vom Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut Göttingen zu Geschlechterfragen. Verliere der Mann in einer solchen Beziehung die Überhand, bedeute dies eine Gefahr für die Partnerin. "Das äußert sich aber nicht immer in körperlichen Übergriffen", sagt sie. Allein der Kontrollversuch an sich sei bereits eine Form der Gewalt. "Der Partner versucht, die Frau emotional und psychisch so zu beeinflussen, dass sie ihn nie verlassen würde", sagt sie. Das gehe oftmals Hand in Hand mit sexueller Gewalt.

"Jahrzehnte männlicher Dominanz"

Zu dieser Art der Abwertung gehöre auch die Belästigung am Arbeitsplatz oder auf der Straße, sagt Meshkova. Andere Formen seien die kulturelle Gewalt, zum Beispiel Zwangsheiraten. Diese kämen zwar in westlichen Gesellschaften selten vor, dafür gebe es aber "eine ständige Objektivierung von Frauen, die wiederum Gewalt begünstigt".

Diese sei Bestandteil der sogenannten Rape Culture, sagt Soziologin Hümmler. Darunter wird ein Kontext verstanden, in dem Vergewaltigung weit verbreitet ist und sexualisierte Gewalt beispielsweise in Medien und Popkultur normalisiert wird. Geprägt sei diese Kultur zudem von Vergewaltigungsmythen, etwa dass Betroffene durch ihr Verhalten Übergriffe provozierten, sagt Hümmler.

Die Vereinten Nationen prangern diese Missstände jedes Jahr am 25. November mit dem "Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" an. "Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen beruht auf Jahrzehnten männlicher Dominanz", sagte UN-Generalsekretär António Guterres am Gedenktag im vergangenen Jahr. Noch immer gebe es geschlechtliche Ungleichheiten, die die Rape Culture befeuerten.

Den Gedenk- und Aktionstag gibt es schon seit den 1980er Jahren. Genug verändert habe sich in den letzten Jahrzehnten aber nicht, sagt Sozialwissenschaftlerin Meshkova. Noch immer würden Männer für Frauen wichtige Entscheidungen treffen, Frauenmorde würden als Familiendramen bagatellisiert. Den Handlungsbedarf zeigt insbesondere eine Zahl, sagt Meshkova: "Die Kriminalität insgesamt ist in den letzten 40, 50 Jahren zurückgegangen. Die Zahl der Frauenmorde bleibt stabil."

Jana-Sophie Brüntjen


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