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Anders shoppen bei Heilig Geist




Sozialkaufhaus in der Bremer Heilig-Geist-Kirche
epd-bild/Kay Michalak
Hier kann man nachhaltig einkaufen - und der Erlös stärkt auch noch den sozialen Zusammenhalt: So werben Sozialkaufhäuser und sind damit weit weg vom Image miefiger Kleiderkammern. Eines der ungewöhnlichsten Projekte dieser Art arbeitet in Bremen.

Sie heißen Fundus, Lichtblick, Brauchbar, Anziehungspunkt oder Fairkauf. Die Namen sind Programm: Überall in Deutschland bieten Sozialkaufhäuser Jobs und eine große Auswahl gebrauchter, gespendeter Waren für kleines Geld. Der Bremer "Marktplatz der Begegnung" in der Neuen Vahr zählt wohl zu den ungewöhnlichsten Projekten in Deutschland - schon allein wegen des Ortes. Denn hier sind Kleiderstangen und Container in einer Kirche aufgebaut, in der noch regelmäßig Gottesdienste gefeiert werden.

Deshalb steht in der evangelischen Heilig-Geist-Kirche alles auf Rollen und kann leicht beiseite geschoben werden. Außer den vier Bronzeglocken natürlich, die aus dem mittlerweile abgerissenen Kirchturm stammen. Sie thronen mitten im Raum, 250 bis 800 Kilo schwer. Wer will, kann sie auch kaufen, Materialwert geschätzt 20.000 Euro. An der roten Ziegelwand hängt ein Kruzifix; der gekreuzigte Jesus - unverkäuflich - schaut auf einen Gebrauchtwarenmarkt mit Fahrrädern, Möbeln, Schuhen, Kleidern und vielen anderen Angeboten hinab.

Nicht Handeln, sondern Wiederverwerten

"Hier geht es in erster Linie nicht ums Handeln, sondern ums Wiederverwenden und Teilen", sagt Sozialdiakon Christoph Buße (56), der den "Marktplatz der Begegnung" leitet. Das Sozialkaufhaus mit einer Verkaufsfläche von rund 300 Quadratmetern ist gleichzeitig Kirche, Treffpunkt und beliebte Adresse für Schnäppchenjäger.

Auf der Empore fläzen sich Bücherfans in den Sesseln der Lese-Lounge, neben dem Taufbecken ist eine Spielecke eingerichtet. Im Eingangsbereich brüht ein Automat auf Knopfdruck Kaffeespezialitäten. Gleich daneben bringt Abdelkarem Hasan im Repair-Café kaputte Elektrogeräte wieder zum Laufen. "Meistens kann ich helfen", sagt der Ingenieur, der vor zwei Jahren als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland gekommen ist. Angeschlossen sind außerdem eine Näh- und eine Fahrradwerkstatt.

Multikultureller Stadteil

Der Stadtteil Neue Vahr ist multikulturell, das merkt man auch an den Kunden im Sozialkaufhaus. Etwa die Hälfte der Menschen im Stadtteil hat ausländische Wurzeln, in der Kita sind es sogar mehr als zwei Drittel. Überdurchschnittlich viele Bewohnerinnen und Bewohner sind arbeitslos, haben wenig Geld und rutschen darum auch leicht in soziale Isolation. "Hier bekommt man für zehn Euro ein komplettes Outfit, der Jahreszeit angemessen", sagt Buße, der selbst seit zwei Jahren in keinem klassischen Bekleidungsgeschäft mehr war.

Träger von Sozialkaufhäusern sind meist Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege. Wie viele es deutschlandweit gibt, ist nirgendwo erfasst. Klar ist nur: Es werden immer mehr. Seit 2010 expandiere der Markt massiv, sagt Ralf Hoburg, Professor für Sozialwirtschaft und Sozialmanagement in Hannover.

Bereits Mitte der 1990er Jahre öffneten zahlreiche Sozialkaufhäuser in Deutschland, oft initiiert als Projekte, um erwerbslosen Menschen wieder einen Job zu verschaffen. Das "Icks Plus" in Wunstorf bei Hannover begann seine Arbeit sogar schon 1985. Nach Angaben des Hildesheimer Wirtschaftsprofessors Hildebert Ehrenfeld ist es mit großer Wahrscheinlichkeit das bundesweit älteste Projekt dieser Art.

Ehrenfeld hat eine Studie zu niedersächsischen Sozialkaufhäusern verfasst. Deren wichtigste Ziele sind demnach der preisgünstige Verkauf von Waren, die umweltschonende Wiederverwendung von Gütern und die Erwirtschaftung von Finanzen für soziale Projekte. Aber auch Ausbildung, Beschäftigung, das bürgerschaftliche Engagement und nicht zuletzt die Funktion als "Klöntreff" im Quartier spielen eine wichtige Rolle. Sozialdiakon Buße betont den solidarischen Zusammenhalt im Stadtteil, das Teilen: "Nachbarn geben Spenden ab, die Nachbarn zugutekommen."

Beschäftigungsförderung ist wichtig

Wie wichtig bei den Sozialkaufhäusern noch immer die Beschäftigungsförderung ist, macht beispielhaft ein Projekt im Bremer Stadtteil Hemelingen deutlich, das Jobs für Langzeitarbeitslose bietet. "Die Beschäftigten sind sehr motiviert", sagt Susanne Quest (61), diakonisch-sozialpädagogische Begleiterin. "Ganz wichtig sind die Tagesstruktur und die Anerkennung, die sie bekommen - und natürlich die soziale Teilhabe im Kontakt mit Kunden und Gästen im angeschlossenen Café."

Zu den größten Projekten in Deutschland zählt das "Fairkauf" in Hannover mit seinen heute fünf Filialen. Hier seien seit dem Start 2007 bis jetzt 350 sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen worden, bilanziert Nicola Barke, geschäftsführende Vorständin der Genossenschaft. Gerade macht ihnen Corona Sorgen, denn auch das "Fairkauf" musste im Frühjahr zeitweise geschlossen werden, wichtiger Umsatz ging verloren. Aber Barke ist optimistisch: "Wir haben gute Chancen, das Jahr gut zu überstehen."

Ralf Hoburg sieht viel Potenzial in den Sozialkaufhäusern. Denn deren Konzept schont Ressourcen, vermeidet Müll und liegt schon darum im Trend: "Sozialkaufhäuser sind Teil einer sozialen Konsum- und Einkaufsgesellschaft aller Schichten, in der Aspekte der Wiederverwendung und damit der Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielen", betont er.

Der Wissenschaftler meint, dass gerade die Insolvenz klassischer Kaufhäuser der Bewegung Chancen bietet. "Sozialkaufhäuser könnten mit innovativen Laden-Konzepten leer gewordene Orte in den Innenstädten besetzen, Läden und Wohnraum kombinieren und damit Arbeitsplätze und Begegnungsräume in einer sozialen Stadt von morgen entwickeln." Beispiele in diese Richtung gibt es schon, etwa in Berlin mit dem "B-Wa(h)renhaus": Gebrauchtes oder Upcycling-Produkte werden in der dritten Etage einer Karstadt-Kaufhof-Filiale angeboten.

"Wir wünschen uns, dass unser Modell des Teilens Schule macht", meint der Bremer Sozialdiakon Buße und verweist unter anderem auf die Klimaschutzdebatte. Seine Rechnung: Ein Kilo Kleider aus dem Sozialkaufhaus sparen 3,6 Kilo CO2, 6.000 Liter Wasser und ein halbes Kilo Pestizide und Düngemittel. Und was ihm auch noch wichtig ist: "Der Marktplatz in der Kirche bringt Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft zusammen, die sich sonst nicht begegnet wären - unabhängig vom Einkommen."

Dieter Sell