sozial-Recht

Bundessozialgericht

Erleichterte Förderung für Wohnen in einer Pflege-WG




Senioren in ihrer Wohngruppe (Archivbild)
epd-bild/Jens Schulze
Pflegebedürftige in Wohngruppen müssen nach aktuellen Urteilen leichter den gesetzlichen Zuschlag für ambulant betreute Wohngruppen erhalten können. Denn mit dem Geld sollen neue Wohnformen gefördert und Betroffene in ihrem Selbstbestimmungsrecht gestärkt werden.

Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen müssen besser finanziell unterstützt werden. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in drei am 10. September verkündeten Urteilen entschied, dürfen die Pflegekassen keine zu strengen Anforderungen für den Anspruch auf den gesetzlichen Wohngruppenzuschlag in Höhe von derzeit 214 Euro pro pflegebedürftiger Person stellen.

Den Wohngruppenzuschlag können nach den gesetzlichen Bestimmungen ambulant betreute Menschen erhalten, die in einer Wohngruppe von insgesamt drei bis zwölf Personen leben. Der pauschale Zuschlag ist "zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung" von den Krankenkassen zu zahlen. Mindestens drei Personen der Wohngruppe müssen pflegebedürftig sein.

Organisation des Zusammenlebens

Eine weitere Anforderung ist, dass die in einer "gemeinsamen Wohnung" lebende Wohngruppe "eine Person" gemeinschaftlich mit der Organisation des gemeinsamen Zusammenlebens beauftragt. Die Versorgung der Wohngruppe darf zudem nicht das Ausmaß einer stationären Versorgung einnehmen.

In den Streitfällen lehnten die Krankenkassen den Wohngruppenzuschlag aus unterschiedlichen Gründen ab. So ging es im ersten Fall um eine seit einer Hirnblutung schwerst pflegebedürftige Frau, die mit weiteren Personen in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt.

Die Pflegebedürftigen beziehungsweise ihre Betreuer hatten per Mehrheitsbeschluss eine konkret benannte Sozialarbeiterin beauftragt, sich um die organisatorischen Belange der Wohngruppe zu kümmern. Diese regelte etwa die Aufnahme neuer Bewohner und Bewohnerinnen oder kümmerte sich um die Bar-Kasse. Die Arbeit der Sozialarbeiterin wurde von einem ambulanten Pflegedienst unterstützt.

Zu strenge Anforderungen

Als der betreuende Ehemann der Klägerin bei der Postbeamtenkrankenasse, im Streitfall zuständig auch für die Pflege, den gesetzlichen Wohngruppenzuschlag beantragte, lehnte die Kasse dies ab. Nicht alle Bewohner seien an den Beschlüssen der Wohngruppe - wie etwa die Bestimmung der Präsenzkraft - beteiligt gewesen. Auch dürfe diese beauftragte Person nicht von einem Pflegedienst unterstützt werden. Schließlich gebe es in der Wohngruppe gar kein gemeinschaftliches Leben. Die Rund-um-die-Uhr-Versorgung der Bewohner komme einer stationären Versorgung gleich. Dies stehe dem gesetzlichen Wohngruppenzuschlag entgegen.

In den beiden anderen Fällen argumentierten die beklagten Pflegekassen ähnlich. So wurde moniert, dass die Räumlichkeiten der Bewohner gar nicht auf eine Wohngruppe hinwiesen. Die Bewohner verfügten in ihren angemieteten Räumen anders als in üblichen Wohngemeinschaften über eine Küchenzeile und über ein eigenes Bad. Ein gemeinschaftliches Wohnen sei dies nicht. Zudem dürfe es sich bei der beauftragten Person nicht um eine juristische Person - hier ein Pflegedienst - handeln, die Mitarbeiter delegiert.

Dem widersprach nun das BSG und verwies auf den gesetzlichen Zweck des Wohngruppenzuschlags. Ziel sei es gewesen, "ambulante Wohnformen pflegebedürftiger Menschen unter Beachtung ihres Selbstbestimmungsrechts zu fördern". Pflegekassen dürften daher nicht zu strenge Anforderungen an die Gewährung des Wohngruppenzuschlags stellen.

Verkappte vollstationäre Versorgung

So stünden eigene Räumlichkeiten mit Bad und Küchenzeile einem Wohngruppenzuschlag nicht entgegen. Wichtig für eine "gemeinschaftliche Wohnung" sei, dass die Bewohner Gemeinschaftseinrichtungen wie etwa eine gemeinsame Küche nutzen könnten. "Nur ein gemeinsamer Fahrradkeller reicht nicht", so Hans-Jürgen Kretschmer, Vorsitzender des 3. BSG-Senats.

Bei "einer beauftragten Person", dürfe es sich auch um mehrere Personen oder um eine juristische Person handeln. Es reiche für eine "gemeinschaftliche Beauftragung" aus, wenn sich in einer Wohngruppe mindestens drei Pflegebedürftige an der Beauftragung einer Hilfe beteiligen. Die tätigen natürlichen Personen müssten aber benannt werden und regelmäßig ihre Aufgaben erfüllen.

Keinen Wohngruppenzuschlag gebe es allerdings, wenn es sich bei der Versorgung der Bewohner um eine verkappte vollstationäre Versorgung handele. Nach diesen Maßgaben sollen nun in allen drei Fällen die jeweiligen Landessozialgerichte die Verfahren neu beurteilen.

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) begrüßte die BSG-Urteile. Für die oftmals strittige Grenze zum vollstationären Pflegeheim habe das BSG die freie Wählbarkeit der Einzelleistungen und die Möglichkeit zur Selbstorganisation in den Wohngruppen bekräftigt, so bpa-Präsident Bernd Meurer.

Az.: B 3 P 2/19 R, B 3 P 3/19 R und B 3 P 1/20 R

Frank Leth