sozial-Thema

Digitalisierung

Interview

AWO: Politik muss innovative Infrastruktur dauerhaft fördern




Wolfgang Stadler
epd-bild/AWO
Die Arbeiterwohlfahrt hat sich nach den Aussagen ihres Bundesvorsitzenden Wolfgang Stadler schon länger auf den Weg des digitalen Wandels gemacht. Nun müsse der Reformprozess auch wegen Corona beschleunigt werden, sagt der AWO-Chef im Interview. Wichtig sei es, die neuen digitalen Angebote für jedermann nutzbar zu machen - eine komplexe Aufgabe.

Der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, Wolfgang Stadler, berichtet, die Corona-Pandemie habe bei der Digitalisierung "zu Kompromissen gezwungen, die langfristig nicht akzeptabel sind". Jetzt müssten dauerhafte Strukturen etwa in der Onlineberatung geschaffen werden. Dazu brauche es staatliche Hilfen für die Verbände, auch "um Dinge ausprobieren zu können und eine positive Lern- und Fehlerkultur zu entwickeln". Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Stadler, was ist zu tun in Sachen Digitalisierung angesichts der Corona-Pandemie?

Wolfgang Stadler: Zunächst möchte ich sagen, dass der digitale Wandel der Gesellschaft weder ein Corona-bedingtes Phänomen noch ein neues Thema auf unserer Agenda ist. Aber die Pandemie hat uns eine ungewohnte Innovationsschnelligkeit abverlangt, die uns herausgefordert und gestärkt hat. Bereits begonnene Veränderungsprozesse haben schlagartig an Bedeutung gewonnen und Fahrt aufgenommen. Experten und Expertinnen der AWO für digitale Themen waren plötzlich mehr denn je gefragt.

epd: Welche Schwächen hat die Pandemie offengelegt? Wo besteht der größte Nachholbedarf?

Stadler: Es wurden unterschiedliche Probleme deutlich, die nur teilweise in den vergangenen Wochen und Monaten behoben werden konnten. Die beziehen sich zum Beispiel auf die Refinanzierung unserer Angebote. So musste bei manchen Dienstleistungen, die umgestellt wurden, zunächst geklärt werden, ob auch die digitale Variante in den Förderrahmen fällt. Viele Angebote, die für die Menschen in ihren Sozialräumen wichtig sind, standen deshalb zwischendurch auf wackligen Beinen: von Beratungsstellen über Ferienangebote für Kinder bis hin zu stationären Einrichtungen.

epd: Und weiter?

Stadler: Hinzu kam die fehlende Verfügbarkeit digitaler Infrastrukturen, die bezahlbar sind und ein zufriedenstellendes Maß an Nutzerfreundlichkeit mit sich bringen, zugleich aber auch den Anforderungen an IT-Sicherheit und Datenschutz Genüge tun. Hier wurden wir immer wieder zu Kompromissen gezwungen, die langfristig nicht akzeptabel sind. Ganz klar wurde auch: Gesellschaftliche Teilhabe setzt gerade in dieser Ausnahmesituation digitale Teilhabe voraus. Für uns war deutlich spürbar, dass große Teile der Zielgruppen, denen wir durch unsere Dienstleistungen Teilhabe ermöglichen wollen, von digitaler Teilhabe ausgeschlossen sind.

epd: Welche Hilfen erwarten die AWO bei den Reformen von der Politik?

Stadler: Innovation ist notwendig und braucht organisierte Experimentierräume. Das muss sich auch in der Finanzierung der freien Wohlfahrtspflege abbilden. Hier geht es nicht nur um die sporadische Finanzierung einzelner innovativer Leuchtturmprojekte. Es braucht eine beständige Infrastruktur zur Innovationsförderung in den Verbänden sowie finanzielle Spielräume, um Dinge ausprobieren zu können und eine positive Lern- und Fehlerkultur zu entwickeln. Beim Thema Digitalisierung wurde durch die Pandemie noch einmal deutlich, wie wichtig eine funktionierende, sichere und möglichst unabhängige digitale Infrastruktur ist. Die Förderung von Open Source Projekten kann hierbei eine wichtige Rolle spielen.



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