sozial-Recht

Bundesgerichtshof

Gerichte müssen nach Alternativen zur Zwangsunterbringung suchen



Die bereits seit Jahren bestehende Zwangsunterbringung einer schizophrenen Pati-entin darf ohne eine Prüfung anderer Betreuungsmöglichkeiten nicht einfach verlängert werden. Auch für die Fortdauer einer zivilrechtlichen Zwangsunterbringung muss eine "ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben" vorliegen, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 17. Juli veröffentlichten Beschluss.

Im jetzt entschiedenen Fall wurde die unter Betreuung stehende, 1941 geborene Frau im Mai 2012 wegen der Gefahr einer Selbstgefährdung zwangsweise in einem Alten- und Pflegeheim untergebracht. Sie leidet an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie und einem behandlungsbedürftigen Bluthochdruck. Ihre Betreuerin beantragte beim Amtsgericht die Fortdauer der zwangsweisen Unterbringung.

Landgericht billigte weitere Unterbringung

Das Landgericht Lüneburg billigte die Unterbringung bis zum 9. April 2021. Angesichts der Vorgeschichte bestehe eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Frau ihre erforderlichen antipsychotischen und blutdrucksenkenden Medikamente absetzt, hieß es zur Begründung.

Der BGH hob diese Entscheidung jedoch auf. Zwar sei für eine zivilrechtliche Zwangsunterbringung keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr erforderlich. "Notwendig, aber auch ausreichend ist eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten", betonte das Gericht. Es müssten "objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines Gesundheitsschadens" vorliegen.

Diese Voraussetzungen müssten auch bei der Verlängerung einer Zwangsunterbringung vorliegen, selbst wenn sie bereits seit Jahren andauere. Bei der Verlängerung müsse auch die schon verstrichene Unterbringungszeit berücksichtigt und geprüft werden, ob wegen Zeitablaufs überhaupt noch eine Selbstgefährdung besteht.

Hier habe das Landgericht diese Voraussetzungen für die Zwangsunterbringung nicht ausreichend untersucht. Es habe selbst nach einer fast achtjährigen Unterbringung nicht erwogen, ob nicht auch andere betreute Wohnformen infrage kommen, die das Freiheitsgrundrecht weniger stark einschränken, rügte der BGH.

Az.: XII ZB 215/20