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Sozialverbände: Regierung rechnet Hartz-IV-Regelsätze weiter klein




Seit Jahren gibt es erbitterten Streit über die Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes.
epd-bild/Norbert Neetz
Die Sätze für die Grundsicherung werden für 2021 neu berechnet - aber der Ärger ist der alte: Sozialverbände werfen der Regierung vor, die Leistungen nach bewährter Methodik kleinzurechnen. "Lebensfremd" sei das Ergebnis, kritisiert die Diakonie.

Sozialverbände werfen der Bundesregierung vor, die Hartz-IV-Regelsätze weiterhin systematisch kleinzurechnen. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, kritisierte am 22. Juli in Berlin, die Politik nutze die vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Spielräume ausschließlich zur Kürzung. Das Ergebnis seien realitätsferne Leistungen, sagte Schneider. Für den gesamten Hygienebedarf von Babys und Kleinkindern etwa hätten die Eltern 7,66 Euro im Monat zur Verfügung, Windeln inklusive.

Auch die Diakonie Deutschland warf der Regierung vor, es sei "lebensfremd", beispielsweise für den Erwerb eines Kühlschranks jahrelange Ansparungen von 1,67 Euro im Monat anzunehmen. In der Praxis müssten die Menschen Darlehen beim Jobcenter aufnehmen, deren Rückzahlung ihre Lebensgrundlage dauerhaft mindere.

Gesetzentwurf in der Abstimmung

Der Gesetzentwurf zur Neufestlegung der Regelsätze für Grundsicherungsempfänger befindet sich gegenwärtig in der regierungsinternen Abstimmung, wie das Bundesarbeitsministerium dem Evangelischen Pressedienst (epd) bestätigte. Im Zuge dessen werden die Sozialverbände um eine Stellungnahme gebeten. Die meisten kritisieren seit Jahren die Methodik der Berechnung, die mit nicht nachvollziehbaren Abschlägen verbunden sei, um Staatsausgaben für Hartz IV zu senken.

Diakonie-Sozialvorstand Maria Loheide erklärte in ihrer Stellungnahme, die Art der Berechnung führe schon seit zehn Jahren zu einer Absenkung des Regelsatzes. Das Bundesverfassungsgericht habe deutliche Kritik an der Berechnung geäußert und eine "transparente, sach- und realitätsgerechte" Methode gefordert: "Diese Kriterien sieht die Diakonie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht erfüllt", betonte Loheide. Im Ergebnis müssten Hilfebedürftige von einer Grundsicherung leben, die ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben nicht sicherstelle.

"Keine Statistik, sondern Missbrauch"

Ulrich Schneider vom Paritätischen drückt es drastischer aus: "Was wir bei der Berechnung der Regelsätze erleben, ist keine Statistik, sondern ihr Missbrauch." Wenn die Bundesregierung das von ihr selbst gewählte Statistikmodell konsequent und methodisch sauber anwendete, müsste der Regelsatz laut Schneider für das kommende Jahr nicht bei 439 Euro, sondern bei mehr als 600 Euro liegen. Die Leistungen für Kinder und Jugendliche, die noch einmal deutlich niedriger lägen, entbehrten jeder seriösen statistischen Grundlage, bilanzierte der Verbands-Chef.

Auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, erklärte, sieben Euro mehr reichten nicht zum Leben. Es sei "sehr enttäuschend, dass keine Verbesserungen bei der Ermittlungsmethode vorgesehen sind".

Die Regelsätze für die Grundsicherung werden ungefähr alle fünf Jahre per Gesetz neu festgelegt. Dafür werden die statistisch erhobenen Ausgaben der unteren 15 Prozent der Haushalte herangezogen und um diverse Posten gekürzt. In den Jahren dazwischen werden die Sätze fortgeschrieben, anhand der Preisentwicklung für die Waren, die im Regelsatz enthalten sind sowie der Nettolohnentwicklung. Anfang dieses Jahres führte das zu einer Erhöhung von acht auf 432 Euro im Monat für einen alleinstehenden Erwachsenen. Berücksichtigt sind Ausgaben für den monatlichen Bedarf an Lebensmitteln, Kleidung, Hygiene, Mobilität, Kommunikation und soziale Teilhabe, also etwa eine Kinokarte.

Bettina Markmeyer