sozial-Recht

Landessozialgericht

Keine zu hohen Hürden für Schmerztherapie mit Medizinalcannabis




Cannabis-Medikament Pedanios
epd-bild/Jörg Koch
Schmerzpatienten müssen für eine Behandlung mit Medizinalcannabis nicht erst jahrelang schwere Nebenwirkungen anderer alternativer Arzneimittel erdulden. Erweist sich dagegen Cannabis als verträglich, darf die Krankenkasse die Kostenerstattung hierfür nicht einfach verweigern.

Krankenkassen dürfen keine zu hohe Hürden für die Kostenübernahme cannabishaltiger Medikamente errichten. Auch wenn der Einsatz der Präparate nur ausnahmsweise vom Gesetz her vorgesehen ist, bedeutet das nicht, dass Patienten zunächst jahrelang schwerwiegende Nebenwirkungen anderer Schmerzmittel in Kauf nehmen müssen, entschied das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in München in einem am 10. Juli veröffentlichten Urteil.

Der Gesetzgeber hatte zum 10. März 2017 festgelegt, dass im Ausnahmefall die gesetzlichen Kassen die Behandlung mit cannabishaltigen Medikamenten bezahlen müssen. Danach haben Versicherte Anspruch auf eine Cannabis-Versorgung in Form getrockneter Blüten oder Extrakten sowie auf den Erhalt von Arzneimitteln mit dem Cannabis-Wirkstoff Dronabinol oder Nabilon. Voraussetzung ist eine "schwerwiegende Erkrankung", für die keine "allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung" zur Verfügung steht oder nach Einschätzung des Arztes nicht zur Anwendung kommen kann.

Immer wieder Streit vor Gerichten

Seitdem streiten sich regelmäßig Krankenkassen und Versicherte. Problem: Was gilt als "schwerwiegende Erkrankung" und inwieweit ist die Cannabis-Behandlung wirklich alternativlos? Auch ist die Versorgung mit Cannabisblüten teuer. Nach Angaben der Techniker Krankenkasse liegen die monatlichen Kosten zwischen 300 und 2.200 Euro. Die Kosten für cannabishaltige Fertigarzneimittel sind allerdings viel geringer.

Im jetzt entschiedenen Streitfall ist der schwerbehinderte Kläger seit Juni 2017 arbeitsunfähig. Infolge eines Unfalls leidet er seit vielen Jahren unter einem chronischen Schmerzsyndrom an der linken Schulter.

Nachdem der Gesetzgeber 2017 die Behandlung mit Cannabis im Ausnahmefall erlaubte, stellte der Mann bei seiner Kasse einen Antrag auf Kostenübernahme mit Medizinalcannabis. Wegen seines chronischen Schmerzsyndroms müsse die Kasse die Versorgung sicherstellen, so seine Argumentation. Andere Schmerzmittel oder Cannabis-Fertigarzneimittel vertrage er nicht, was auch gerichtlich bestellte Sachverständige bestätigten.

Die Krankenkasse lehnte den Antrag jedoch ab. Der Kläger habe nur eine kleine Zahl an alternativen Schmerzmitteln ausprobiert sei, hieß es. Auch seien die Nebenwirkungen der Medikamente wie Müdigkeit nicht so gravierend.

Ausnahmefall liegt vor

Das LSG verpflichtete die Kasse jedoch zur Kostenübernahme der Schmerztherapie mit Medizinalcannabis. Hier liege der im Gesetz vorgesehene Ausnahmefall vor, befanden die Richter. Der Kläger leide eindeutig an einer "schwerwiegenden Erkrankung". Das Schmerzsyndrom sei zwar nicht lebensgefährlich, es beeinträchtige aber die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig. Es gebe auch keine alternativen Schmerzmedikamente, weil diese zu erheblichen Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Magen-Darm-Problemen geführt hätten.

"Die gesetzliche Voraussetzung bedeutet nicht, dass der Kläger langjährig schwerwiegende Nebenwirkungen ertragen müsste, bevor ihm Cannabis als Alternative genehmigt werden könnte", heißt es in dem Urteil. Die Cannabisbehandlung habe eine "spürbare positive Einwirkung auf den Behandlungsverlauf" des Klägers gezeigt.

Wirtschaftlichkeitsgebot ist nachrangig

Die Krankenkasse könne sich auch nicht darauf berufen, dass zur Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nur die kostengünstigste Darreichungsform von cannabishaltigen Medikamenten gewählt wird. Allein der behandelnde Vertragsarzt bestimme je nach Patient Form und Dosis der Therapie.

Bei einem massiven lebensbedrohlichen Untergewicht kann nach einem Beschluss des Hessischen LSG vom 18. Juli 2019 die gesetzliche Krankenkasse ebenfalls zur Kostenübernahme für eine Cannabis-Behandlung verpflichtet werden. Auch wenn nicht nachgewiesen sei, dass für die Therapie keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht oder nicht angewendet werden kann, könne bei einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit ausnahmsweise vorläufig ein Anspruch bestehen, so das Gericht.

Sei ein Patient lebensbedrohlich untergewichtig, müsse das im Eilverfahren Vorrang vor dem Interesse einer möglichst wirtschaftlichen Behandlung haben. Hier hatte der behandelnde Arzt auf die positiven Auswirkungen der seit einigen Monaten durchgeführten Cannabis-Behandlung verwiesen.

Az.: L 5 KR 544/18 (LSG München)

Az.: L 1 KR 256/19 B ER (LSG Darmstadt)

Frank Leth