sozial-Branche

Armut

Gastbeitrag

Volkssolidarität: Armut von Kindern nicht länger tolerieren




Wolfram Friedersdorff
epd-bild/Volkssolidarität
Schon lange wirbt die ostdeutsche Volkssolidarität für eine grundlegende Sozialreform, die bedürftigen Kindern mehr Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Doch die Kindergrundsicherung kommt nicht voran. Warum der Verband trotzdem an dem Vorhaben festhält, beschreibt Präsident Wolfram Friedersdorff in seinem Gastbeitrag für epd sozial.

Die Volkssolidarität engagiert sich seit zweieinhalb Jahren im Bündnis von Verbänden und Einzelpersonen für die Einführung einer Kindergrundsicherung. Sie sieht in der Ersetzung des jetzigen familienorientierten Systems der monetären Förderung von Kindern und Jugendlichen durch eine kindsbezogene Grundsicherung einen wichtigen Baustein zur Bekämpfung von Kinderarmut und zur Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums für Kinder und Jugendliche.

Die Volkssolidarität ist noch immer vor allem in Ostdeutschland verankert, als Trägerin von Kindertagesstätten sowie vielen weiteren Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, als sozialer Dienstleister und vor allem durch Mitgliedergruppen und Begegnungszentren in Städten und auf dem Land.

Deutlich mehr Armut im Osten

Die Armutsgefährdungsquote liegt in den neuen Bundesländern seit der deutschen Einheit bis heute deutlich höher als im Durchschnitt in Deutschland. Durch den hohen Anteil des Niedriglohnbereiches an der Wertschöpfung sind nach wie vor viele Beschäftigte auf Sozialtransfers nach dem SGB II angewiesen. Der Anteil von Menschen, die Grundsicherung im Alter beziehen oder Einkünfte haben, die nur geringfügig über dieser Grundsicherung liegen, wächst zudem von Jahr zu Jahr. Das führt in Verbindung mit dem höheren Anteil von Älteren an der Bevölkerung auch dazu, dass die Unterstützungsmöglichkeiten im Familienverbund immer weiter eingegrenzt werden.

Die Volkssolidarität ist über ihre Mitglieder und Einrichtungen sehr häufig und direkt mit der sozialen Lage von Kindern und Jugendlichen konfrontiert, die in Armut leben. Bekämpfung von Kinderarmut ist deshalb für uns zu einem wichtigen sozialpolitischen Anliegen der geworden.

Kinder sind arm, weil sie in Familien leben, die arm sind. Kinder und Jugendliche sind aber von den Armutslagen ihrer Familien besonders betroffen. Denn Armut führt bei ihnen überproportional häufig zu formal niedrigen Schulabschlüssen, zu Krankheit und Perspektivlosigkeit. Trotz hoher Beiträge der Familienförderung und trotz verschiedener Reformen im Förderungssystem in den zurückliegenden Jahren ist es nicht gelungen, die Armutsbetroffenheit von Kindern und Jugendlichen substanziell zu mindern.

Zersplitterte und ungerechte Förderung

Denn die Förderung von Familien ist nach wie vor sozial ungerecht, sie ist bei den Förderinstrumenten für von Armut betroffenen Familien zersplittert, bürokratisch und basiert auf Misstrauen. Sie garantiert weder den notwendigen sächlichen Bedarf für eine Teilhabe an der Gesellschaft noch das soziokulturelle Existenzminimum. Antragsverfahren und gegenseitigen Anrechnungen führen zur Unübersichtlichkeit und zu geringer Inanspruchnahme von staatlichen Transferleistungen.

Die Zusammenfassung der verschiedenen monetären Leistungen (wie zum Beispiel Regelbedarf, Kinderzuschlag, Kindergeld, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss, Bildungs- und Teilhabepaket) in einer Kindergrundsicherung würde diese genannten Defizite der existierenden Sozialleistungen für Familien beheben und einen signifikanten Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten. Profitieren würden vor allem Kinder und Jugendliche aus Familien, die auf Sozialtransfers angewiesen oder die im Niedriglohnbereichen tätig sind. Dafür setzt sich die Volkssolidarität im Bündnis Kindergrundsicherung entschieden ein.

Existenzminimun transparent berechnen

Grundlage für die Berechnung der Kindergrundsicherung ist eine bedarfsgerechte Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums eines Kindes. Dies muss sowohl die physischen Bedarfe als auch die Bedarfe an Bildung und Teilhabe abbilden.

Gegenwärtig erfolgt das für Familien, die auf Sozialtransfers angewiesen sind, durch die Regelsatzermittlung, ansonsten für die steuerliche Veranlagung durch die im Existenzsicherungsbericht der Bundesregierung ausgewiesenen Beträge, die deutlich die Regelsätze überschreiten. Vorgenannter Betrag soll nach Auffassung des Bündnisses Kindergrundsicherung zunächst auch für die Rechtsbereiche des Sozialrechts gelten. Die Kindergrundsicherung wird einer Besteuerung nach dem Grenzsteuersatz unterworfen, so dass sie bei steigendem Einkommen abgeschmolzen wird bis auf den Steuersparbetrag bei Spitzeneinkommen.

Für die Einführung einer Kindergrundsicherung gibt es inzwischen eine breite politische und gesellschaftliche Akzeptanz. Politische Parteien, die Bertelsmann Stiftung und Sozialwissenschaftlerinnen haben ähnliche Konzepte wie das des Bündnisses Kindergrundsicherung entwickelt. Für uns ist der vom Bündnis Kindergrundsicherung verfolgte Ansatz gegenwärtig am besten geeignet, die vorgenannten Ziele einer Kindergrundsicherung zu erreichen.

Kaum Hoffnung auf schnelle Reformen

Trotz dieser breiten Akzeptanz gibt es gegenwärtig wenig Hoffnung, dass bis zur Bundestagswahl Schritte zur Einführung der Grundsicherung gegangen werden. Dennoch gibt es einen wichtigen Ansatzpunkt, um gerade in diesem Jahr an einem entscheidenden Punkt voranzukommen.

Nach dem Vorliegen der Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 sind in diesem Jahr die Regelsätze der Grundsicherung durch die Bundesregierung zu überprüfen. An der Art und Weise der Regelsätze ist inzwischen durch Sozialverbände und den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge grundsätzliche Kritik geäußert worden. Die Volkssolidarität hat sich durch ihren Bundesvorstand für das von der Diakonie entwickelte Modell zur Regelsatzbestimmung ausgesprochen.

Die jetzige Überprüfung kann für uns im Bündnis genutzt werden, um Initiativen zu entwickeln, um die Vorstellung von dem, was ein Kind mindestens braucht, zu präzisieren und das "Wie" der Ermittlung der Bedarfe zu thematisieren. Es kann nicht sein, dass über die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen im stillen Kämmerlein von gut situierten Ministerialbeamten und Beamtinnen entschieden wird.

Betroffene in Debatte einbeziehen

Notwendig ist eine politische und gesellschaftliche Debatte. Kinder und Jugendliche, vor allem aus armutsbetroffenen Familien, in diese Ermittlung mit einzubeziehen, ist für die Volkssolidarität eine zentrale Forderung. Sie wird dafür auch eigene Projekte entwickeln.

Die Corona-Pandemie hat vor allem gezeigt, dass Kinder, Jugendliche und ihre Familien in Krisenzeiten ebenso schnell vergessen werden wie viele marginalisierte Gruppen unserer Gesellschaft. Schulen und Kitas wurden mit größter Selbstverständlichkeit geschlossen, für Hunderttausende Kitakinder und Schülerinnen und Schüler fiel von heute auf morgen das kostenlose warme Mittagessen weg. Ihre Teilhabechancen haben sich zudem durch fehlende digitale Lernmittel sowie die ausfallende schulische Förderung und pädagogische Unterstützung weiter verschlechtert. Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Kinder und Jugendlichen sind unabsehbar.

Wolfram Friedersdorff ist seit 2014 Präsident der Volkssolidarität