sozial-Recht

Bundessozialgericht

Bei fehlerhafter Patientenaufklärung droht Klinik Rechnungskürzung




Kliniken müssen Patienten bei Alternativtherapien besonders umfassend aufklären.
epd-bild/Werner Krüper
Kliniken haben die Pflicht, lebensbedrohlich erkrankte Patienten besonders sorgfältig aufzuklären, wenn eine Alternativbehandlung als Therapie angewendet wird, die nicht dem medizinischen Standard entspricht. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) klargestellt.

Das Kasseler Gericht entschied in einem am 16. April veröffentlichten Urteil, dass bei unterlassener Aufklärung im Fall von Gesundheitsschäden nicht nur zivilrechtliche Haftungsansprüche drohen, sondern auch der Verlust der von der Krankenkasse normalerweise zu bezahlenden Klinikrechnung.

Bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung müsse der Patient erst recht selbst entscheiden können, ob er die Risiken der Alternativbehandlung in Kauf nimmt oder nicht, betonten die Richter.

Alternativtherapie nach Rückfall

Im Streitfall ging es um einen Patienten mit einem sogenannten Mantelzelllymphom, eine Form von Lymphdrüsenkrebs. Nachdem der Tumor zunächst im Dezember 2003 erfolgreich behandelt werden konnte, trat 2008 ein Rückfall auf. Es bestand damit eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Patient innerhalb von vier Jahren an der Erkrankung stirbt.

Die behandelnden Ärzte einer Hamburger Klinik setzten im März 2010 nach mehreren Behandlungsversuchen schließlich auf eine nicht dem medizinischen Standard entsprechende Alternativtherapie, der sogenannten allogenen Stammzelltransplantation. Dazu wurden die Stammzellen eines besonders gut geeigneten Spenders verwendet. Nach der Einschätzung der Ärzte und den bislang bekannten Studien über diese Therapieform würde sich die statistische Aussicht auf ein Fünf-Jahres-Überleben von 29 auf 60 Prozent erhöhen. Das individuelle Sterberisiko betrage nur zehn bis 15 Prozent. Doch zweieinhalb Monate später starb der Patient an den Folgen einer Blutvergiftung und einem Multiorganversagen.

Kasse lehnte Kostenübernahme ab

Die Krankenkasse lehnte es ab, die vollen Behandlungskosten der Alternativtherapie zu bezahlen. Es ging um einen Betrag von über 45.000 Euro. Die Therapie sei medizinisch nicht notwendig gewesen, der Patient sei auch nicht ausreichend über die Risiken der Behandlung aufgeklärt worden, befand die Kasse. Unter Umständen hätte er diese Behandlung sonst gar nicht akzeptiert.

Die Klinik verwies indes darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 Krankenkassen auch nicht anerkannte medizinische Methoden bezahlen müssen, wenn "eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht" auf Heilung oder Linderung besteht.

Streitfall zurückverwiesen

Das BSG verwies den Streitfall an das LSG zurück. Inwieweit die Krankenkasse die Alternativbehandlung nicht bezahlen muss, müsse vom LSG noch geprüft werden. Hier habe der Versicherte aber an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten, für die eine dem medizinischen Standard entsprechende Heilbehandlung nicht zur Verfügung stand. Die Alternativbehandlung in Form der Stammzelltransplantation sei nach der damaligen Studienlage auch "objektiv erfolgversprechend" gewesen und erfolgte nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Das spreche für einen Vergütungsanspruch, so die Richter.

Allerdings müsse auch belegt sein, dass der Versicherte ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist. Zwar könne bei medizinischen Routinebehandlungen regelmäßig davon ausgegangen werden, dass eine Aufklärung ordnungsgemäß stattgefunden hat. Mit dieser generellen Vermutung wollte das BSG verhindern, dass Kliniken wegen der Dokumentation umfassender Patientenaufklärung einen nicht mehr zu bewältigenden Bürokratieaufwand ausgesetzt sind. In Routinefällen müsste damit die Krankenkasse beweisen, dass der Patient korrekt aufgeklärt worden ist.

Doch bei Therapien, die mit schweren Gesundheitsschäden oder einem hohen Sterberisiko verbunden sind - wie im vorliegenden Fall - gelte für Kliniken die Pflicht zu einer "besonders sorgfältigen Aufklärung", betonten die Richter. Anderenfalls könne das von der Klinik einzuhaltende Wirtschaftlichkeitsgebot verletzt sein.

Betroffene Patienten hätten ein Recht darauf, über die individuellen Chancen und Risiken aufgeklärt zu werden. Nur so könnten sie abwägen, ob sie die Risiken insbesondere einer nicht dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlung überhaupt eingehen wollen, so das BSG.

Im vorliegenden Fall sei die ordnungsgemäße Aufklärung des Versicherten zweifelhaft. Inwieweit der Patient in der schriftlichen Einverständniserklärung über alle Chancen und Risiken umfassend aufgeklärt wurde, sei nicht klar. Ein Feld über persönliche Risikofaktoren sei sogar einfach leer geblieben, trotz des hohen Sterberisikos der Behandlung.

AZ: B 1 KR 20/19 R

Frank Leth