Berlin (epd). Zwar seien die Werkstätten-Träger vom Schutzschirm für die Sozialbranche erfasst, doch die Beschäftigten stünden bald ohne eigenes Einkommen da, sagte Schmidt. Nämlich dann, wenn die Rücklagen der Betriebe für die Lohnzahlung aufgebraucht seien. Hier müsse dringend ein neues Unterstützungspaket geschnürt werden, betonte die Ex-Gesundheitsministerin. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Es gibt in Corona-Zeiten Geld für Mieter, womöglich Sonderzahlungen für Pflegekräfte und Kurzarbeitergeld für Millionen Beschäftigte. Für die Werkstatt-Beschäftigten gibt es bislang keine Hilfe vom Bund. Hat man diese Gruppe vergessen?
Ulla Schmidt: Tatsächlich sind Menschen mit Behinderung und ihre besonderen Bedarfe anfangs nicht gesehen worden, weder von den Medien noch bei den Regelungen zu Corona. Hier hat sich schon einiges geändert, auch wenn wir uns noch mehr wünschen würden: Man muss einfach sehen, wie schwierig diese Situation für Menschen mit Behinderung ist und was sie besonders belastet.
epd: Viele Beschäftigte in den Einrichtungen müssen die Arbeit derzeit ruhen lassen. Was hat das für Folgen für die Menschen?
Schmidt: Aktuell gibt es Betretungsverbote für Werkstätten und nur einen Notbetrieb für die Menschen, die unbedingt eine Betreuung brauchen, oder für jene Bereiche wie die Produktion von Schutzmasken oder das Waschen von Klinikwäsche, die für die Infrastruktur nötig sind. Damit dürfen die meisten Menschen mit Behinderung nicht arbeiten, allerdings erhalten auch die meisten im Moment noch ihren Lohn, der aus den begrenzten Rücklagen der Werkstätten finanziert wird.
epd: Diese Mittel sind endlich ...
Schmidt: Ja, gerade weil diese Rücklagen begrenzt sind, muss die Zahlung auch weiterhin abgesichert sein. Zumal es keine freie Entscheidung, sondern eine Weisung des Staates ist, dass die Menschen nicht arbeiten dürfen.
epd: Wie ist die Situation in den Einrichtungen, wenn seit Wochen nicht gearbeitet werden kann. Die Tagesstruktur muss ja irgendwie aufrechterhalten werden. Wie bekommen die Werkstätten und Wohneinrichtungen das hin?
Schmidt: Hier leisten die Mitarbeitenden vor Ort Unglaubliches. Schon uns fällt es ja schwer, auf unseren normalen Tagesablauf zu verzichten. Das ist für Menschen mit Behinderung häufig noch viel schwerer. Nun rund um die Uhr in Wohngruppen beisammen zu sein, ist eine echte Herausforderung für Menschen mit Behinderung und ihre Betreuer. Sie machen vielfältige Beschäftigungsangebote, teilweise holen sie auch Arbeit aus den Werkstätten in die Wohneinrichtungen, damit ein Stück Alltag möglich wird. Da tagsüber üblicherweise keine Betreuung nötig ist, da die Bewohnerinnen und Bewohner in Werkstätten und Tagesstätten sind, helfen jetzt die Mitarbeitenden aus Werkstätten oder anderen geschlossenen Bereichen in der Betreuung mit. Eine wirklich unglaublich tolle Leistung, wie dies alles gelingt.
epd: Die Beschäftigten sind das eine, das andere sind die Werkstätten als Wirtschaftsbetriebe. Wie ist deren momentane Lage?
Schmidt: Die Werkstätten als Ganzes sind bereits vom Corona-Schutzschirm umfasst. Das war zu Beginn nicht einfach, aber seit der Entscheidung für das Soziale-Dienste-Entlastungsgesetz sind sie finanziell abgesichert.
epd: Dann kommen wir noch einmal auf die Beschäftigten zurück. Ist es richtig, dass für sie neues Hilfspaket geschnürt werden muss? Die Kurzarbeitergeld-Regelung dürfte ja nicht passend sein, denn die Betroffenen bekommen ja auch keinen Lohn?
Schmidt: Genau so ist es: Werkstätten sind Einrichtungen der Rehabilitation und die Beschäftigten keine Arbeitnehmer. Schon heute zahlen staatliche Institutionen zum Beispiel das Arbeitsförderungsgeld, das mit 52 Euro Teil des Lohnes ist, der im Übrigen etwa 180 Euro im Monat beträgt.
epd: Ist vor allem der Bund gefordert oder sollten die Bundesländer aktiv werden?
Schmidt: Tatsächlich sind eher die Länder am Zug, in deren Regelungsbereich die Träger der Eingliederungshilfe fallen. Ein entsprechender Vorstoß kommt ja auch aus Baden-Württemberg.
epd: Sie beklagen zudem die fehlende Absicherung der pädagogischen und therapeutischen Frühförderung von Kindern mit Handicap. Wie ist die Lage hier in Corona-Zeiten und warum ist es so wichtig, diese Angebote zwingend aufrecht zu erhalten?
Schmidt: Aktuell sind viele Angebote der Frühförderung nicht möglich, das heißt, Kinder können aus Gründen des Infektionsschutzes die Therapien und Förderung nicht erhalten, die sie für ihre persönliche Entwicklung eigentlich dringend brauchen. Weil der Krankenkassenanteil nicht Teil des staatlichen Schutzschirms ist, fehlt den Anbietern von Frühförderungen ein wichtiger Teil ihrer Finanzierung, die diese Struktur absichert. Denn natürlich brauchen Kinder auch in Zukunft Frühförderung, um sich trotz ihrer Beeinträchtigung gut zu entwickeln.
epd: Wie sind sie deswegen aktiv geworden?
Schmidt: Damit diese Struktur auch in der jetzigen Krise abgesichert wird, haben wir Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu schon vor fast zwei Wochen angeschrieben. Dennoch ist die Frühförderung als Komplexleistung, also als Paket von therapeutischer und pädagogischer Förderung, im aktuell geplanten Schutzschirm für die Gesundheitsberufe, der auch Therapeuten umfasst, nicht berücksichtigt.