Frankfurt a.M. (epd). Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert der Mediziner, warum die Sorge nicht zufreffe, dass die Organspende an der Intensivkapazität scheitert. Allerdings berichtet Rahmel auch, dass es im Ausland dramatische Rückgänge von Transplantationen gegeben hat. Die Fragen stellte Patricia Averesch.
epd sozial: Herr Rahmel, die Intensivkapazitäten in Kliniken sollen wegen der Corona-Pandemie aktuell beatmungspflichtigen Infizierten vorbehalten werden. Sind Sie besorgt, dass die Organspende durch die hohe Auslastung in den Kliniken vernachlässigt wird?
Axel Rahmel: Aktuell habe ich diese Sorge nicht, denn die Bundesregierung hat frühzeitig Maßnahmen ergriffen, um den exponentiellen Anstieg der Erkrankungsfälle zu stoppen und gleichzeitig den Kliniken Zeit zu verschaffen, ihre Intensivkapazität zu erhöhen. Sie hat damit verhindert, dass es zur bundesweiten Überlastung der Intensivstationen gekommen ist.
epd: Wie sehen Sie in die Zukunft?
Rahmel: Wir müssen weiterhin aufpassen, dass wir in Deutschland nicht in eine Situation kommen, in der die Covid-19-Infektionen derart ansteigen, dass wir uns in den Klinken nur noch um Covid-Patienten kümmern können. Wir müssen auch alle anderen schwer kranken Patienten, deren Behandlung nicht aufgeschoben werden kann, im Auge behalten. In das Spektrum der schweren Erkrankungen, die eine sofortige Behandlung erfordern, gehören zum Beispiel Menschen mit Schlaganfällen, Herzinfarkten und Tumoren, aber auch Menschen, die auf ein lebensnotwendiges Spenderorgan warten.
epd: Als Patient auf der Warteliste muss ich mir aktuell also keine Sorgen machen, dass ich länger auf ein Organ warten muss?
Rahmel: In Deutschland ist die Situation momentan so, dass es in den Kliniken genug Intensivkapazität gibt. Wie man im Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin online einsehen kann, werden auf den Intensivstationen aktuell knapp 2.000 Covid-19-Patienten beatmet, aber es stehen deutlich mehr Intensivbetten zur Verfügung. Von daher trifft die Sorge, dass die Organspende an der Intensivkapazität scheitert, nicht zu.
epd: Wie ist die Situation bei den Transplantationen?
Rahmel: Organspender werden weiterhin gemeldet und Organtransplantationen finden weiterhin statt. Die Wartezeiten auf ein Spenderorgan haben sich dadurch also nicht verlängert. So hatten wir im März dieses Jahres etwa die gleiche Zahl an postmortalen Organspenden wie im vorherigen Jahr. Einschränkungen gibt es aktuell nur bei der Lebendspende, bei der zum Beispiel ein Angehöriger bereit ist, eine seiner Nieren oder einen Teil seiner Leber zu spenden. Diese Lebendspenden sind in fast allen deutschen Transplantationszentren eingestellt worden und werden nur in Ausnahmefällen durchgeführt. Diese Transplantationen kann man verschieben und so die Lebendspender schützen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit ist man bei der Lebendspende aktuell sehr zurückhaltend.
epd: Werden in besonders stark von der Pandemie betroffenen Ländern wie Italien, Spanien und den USA aktuell auch noch Organe transplantiert?
Rahmel: Es gibt in den Ländern zum Teil dramatische Rückgänge. Die gute Nachricht ist aber, dass die Organtransplantation in allen Ländern fortgeführt wird, insbesondere dann, wenn Patienten lebensbedrohlich erkrankt sind. In Spanien ist die Organspende zeitweise auf fast ein Viertel der früheren Aktivität zurückgegangen. Bei den italienischen Kollegen ist der Rückgang mit 30 Prozent geringer. Auch die USA haben zuletzt einen Rückgang von 30 Prozent berichtet.
epd: Wo sehen Sie die Ursachen dafür?
Rahmel: Die Gründe dafür sind komplex: In Italien und Spanien wird der Rückgang vermutlich an der hohen Auslastung der Intensivkapazität liegen. In den USA gab es vor allem zu Beginn der Ausbreitung der Pandemie das Problem, dass es nicht genügend Tests gab, um die Spender vor der Organentnahme auf das Virus zu testen. Deshalb konnten sie weniger Organspender akzeptieren.
epd: Warum dürfen Coronavirus-Infizierte postmortal ihre Organe nicht spenden?
Rahmel: Durch die Transplantation von Organen eines Covid-19-infizierten Spenders kann das Virus möglicherweise auf die Empfänger übertragen werden. Deshalb untersuchen wir die infrage kommenden Organspender aktuell diesbezüglich ganz besonders sorgfältig. Das beginnt mit einer genaueren Untersuchung der Krankheitsgeschichte: Hatte der Organspender Kontakt mit Personen, die an Covid-19 erkrankt sind? Hat er sich in Risikogebieten aufgehalten? Sind bei dem Spender vor dem Hirntod klinische Symptome aufgetreten, die auf eine Covid-19-Erkrankung hinweisen? Darüber hinaus wird bei allen Spendern eine Untersuchung auf das Virus durchgeführt, dazu werden ein Rachenabstrich oder Proben aus den Atemwegen genommen. Nur wenn die Untersuchung negativ ist und es auch sonst keine Corona-Risikofaktoren gibt, werden die Organe des Spenders zur Transplantation angeboten.
epd: Gibt es auch für den Organ-Empfänger vor einer Transplantation zusätzliche Untersuchungen?
Rahmel: Auch bei einem Empfänger ist es inzwischen so, dass die Ärzte ihn genauer auf eine Covid-19-Infektion untersuchen. Wir sind inzwischen darauf eingestellt, dass die Kliniken für die zusätzlichen Diagnostiken mehr Zeit als sonst benötigen. Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir in Deutschland auch genügend Testkapazität, um die Empfänger sofort auf eine Infektion zu prüfen.
epd: Wie gefährlich ist eine Covid-Infektion für Menschen, die noch auf ein Spenderorgan warten?
Rahmel: Patienten, die auf ein lebensrettendes Organ warten, gehören zur Risikogruppe. Für sie ist eine Infektion mit dem Sars-CoV-2-Erreger und eine Covid-19-Erkrankung aufgrund ihrer schweren Grunderkrankung, die eine Transplantation erforderlich macht, sehr gefährlich. Insofern sind diese Patienten während ihrer Wartezeit einem besonderen Risiko ausgesetzt. Man weiß aus ersten Erfahrungen, dass die Krankheit wegen ihrer Vorerkrankungen wahrscheinlich einen ungünstigeren, schwereren Verlauf nimmt.
epd: Wissenschaftler rechnen damit, dass das Ende der Pandemie in Deutschland erst gegen Ende des Jahres erreicht wird. Wie bewerten Sie die ersten Lockerungen der Corona-Maßnahmen, die Bund und Länder beschlossen haben?
Rahmel: Die Bundesregierung hat eine extrem vorsichtige Lockerung angekündigt. Die Vorgehensweise, die Konsequenzen der Lockerung schrittweise beobachten zu wollen, finde ich sehr bedacht und vernünftig. Ich hoffe, dass wir damit nicht in eine Situation kommen, in der die Intensivkapazität in den Kliniken bis auf das Äußerste ausgenutzt wird. Das ist nicht nur im Sinne von Patienten vor und nach einer Organtransplantation, sondern im Sinne aller schwer kranken Patienten, die eine sofortige Behandlung benötigen. Ich weiß aber auch, dass das Disziplin von der Bevölkerung braucht. Ich sehe Deutschland insgesamt auf einem guten Weg: Die Bundesregierung hat angekündigt, Infizierte adäquat zu testen, nach Antikörpern zu schauen und die Entwicklung eines Impfstoffs vorantreiben zu wollen. Das weckt die Hoffnung, dass wir es mittelfristig - etwa bis zum nächsten Jahr schaffen werden - die Pandemie zu überwinden.