sozial-Recht

Schwangerschaftsabbruch bei Minderjährigen ohne elterliche Erlaubnis




Schild einer Beratungsstelle für schwangere Frauen
epd-bild/Norbert Neetz
Ein Schwangerschaftsabbruch bei Minderjährigen ohne elterliche Erlaubnis ist nur im begründeten Einzelfall möglich. Das hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden - und rückte damit von einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 ab.

Bei einem von Minderjährigen gewünschten Schwangerschaftsabbruch ohne Einverständniserklärung der sorgeberechtigten Eltern bewegen sich Ärzte strafrechtlich weiter auf dünnem Eis. "Nur wenn im jeweiligen Einzelfall die minderjährige Schwangere die Tragweite ihres Handelns erfassen kann, ist ein Schwangerschaftsabbruch ohne Zustimmung der Eltern zulässig", sagte am 11. Februar Regine Wlassitschau vom Bundesverband pro familia dem Evangelischen Pressedienst (epd) zu einem aktuell veröffentlichten Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm.

In dem vom OLG entschiedenen Fall hatte eine 16-jährige Schülerin Ende September 2019 festgestellt, dass sie schwanger ist. Die junge Frau, die einen 19-jährigen Freund hat, hatte sich nach reiflicher Überlegung zum Abbruch der Schwangerschaft entschlossen.

"Eigenes Leben mit einem Kind verbaut"

Sie sei weder körperlich noch seelisch in der Lage, das Kind auszutragen. In der Schwangerschaftsberatung der Arbeiterwohlfahrt gab sie am 30. Oktober 2019 weiter an, dass sie sich mit einem Kind die Chance für ihr eigenes Leben verbaue.

Während ihr Vater mit der Entscheidung einverstanden war, lehnte die ebenfalls sorgeberechtigte Mutter der Schülerin eine Abtreibung kategorisch ab. Sie sei katholisch und könne sich einen Abbruch unter keinen Umständen vorstellen. Sie würde ihre Tochter auch nach der Geburt unterstützen. Als die Mutter Hilfe beim Jugendamt suchte, wurde der Schülerin schließlich mitgeteilt, dass sie als Minderjährige ohne Zustimmung der sorgeberechtigten Mutter keinen Abbruch vornehmen dürfe.

Das OLG entschied jetzt, dass die 16-Jährige auch ohne Zustimmung ihrer Mutter die Schwangerschaft abbrechen darf. Das sei im jeweiligen Einzelfall möglich, wenn die minderjährige Schwangere "einwilligungsfähig ist, also nach ihrer geistigen und sittlichen Reife die Tragweite dieses Eingriffs erfassen und ihren Willen hiernach ausrichten kann".

Entscheidung von 1998 korrigiert

Die Hammer Richter rückten damit von einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 ab, in denen sie die Zustimmung der Erziehungsberechtigten noch für erforderlich hielten. Damals begründete das Gericht seine Entscheidung mit dem elterlichen Personensorgerecht. Bis zum Eintritt der Volljährigkeit könne eine Minderjährige keine rechtswirksame Einwilligung zu einer ärztlichen Heilbehandlung erteilen. Nichts anderes könne auch für einen Schwangerschaftsabbruch gelten, hieß es damals.

Doch nach einer Gesetzesänderung vom 20. Februar 2013 kommt es auf die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen nicht mehr an. "Wenn ein Minderjähriger die notwendige Einsichtsfähigkeit hat, ist deshalb für jeden medizinischen Eingriff jedenfalls auch seine persönliche Einwilligung erforderlich", befand jetzt das OLG.

Zwar könnten Eltern auf ihr Recht "zur Pflege, Erziehung und Betreuung ihres Kindes" verweisen. Je älter ein Kind werde, desto mehr müsse aber sein selbstständiges und verantwortungsbewusstes Handeln berücksichtig werden. Das gebiete das per Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht und das gelte umso mehr im "höchstpersönlichen Lebensbereich" wie etwa bei der Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch.

"Hinreichende Reife" mit 16 Jahren gegeben

Bei einem gewünschten Schwangerschaftsabbruch sei im Alter von 16 Jahren im Regelfall von einer "hinreichenden Reife" der Minderjährigen auszugehen. Allerdings müsse der behandelnde Arzt im Einzelfall stets genau prüfen, ob die Einwilligungsfähigkeit der Minderjährigen besteht und ob deshalb eine Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern zu dem Eingriff nicht mehr erforderlich ist. Dabei müsse die Betroffene auch die psychischen Belastungen abwägen können, so das Gericht.

Hier habe es sich die junge Frau mit ihrer Entscheidung nicht leicht gemacht. Sie habe sich intensiv mit ihrer Mutter, ihrem Freund und Freundinnen sowie dem Jugendamt und der AWO ausgetauscht. Die Einwilligungsfähigkeit sei gegeben, so dass der Eingriff auch ohne Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern durchgeführt werden könne. Die vom Gericht zugelassene Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wurde nicht eingelegt. Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, ob es zu einem Schwnagerschaftsabbruch kam. Der letzte legale Abtreibungstermin war der 6. Dezember 2019.

"Letztlich bleibt es nun weiter bei einer Einzelfallprüfung", ob minderjährige Schwangere auch ohne Zustimmung der Eltern einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen können, sagte Wlassitschau. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte seien strafrechtlich auf der ganz sicheren Seite, wenn auch die Einwilligung der Eltern vorliegt.

Az.: 12 UF 236/19

Frank Leth