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Pflege

Schlechte Arbeitsbedingungen verschärfen den Notstand




Oft nur von kurzer Planungsdauer: der Dienstplan für Pflegekräfte
epd-bild/Werner Krüper
Nur jede fünfte Pflegekraft kann sich vorstellen, bis zum Renteneintrittsalter im Job durchzuhalten. Experten fordern ein Umdenken der Arbeitgeber - vor allem mit Blick auf die Gesundheitserhaltung der Beschäftigten.

Sie kümmern sich hauptberuflich um die Pflege alter und kranker Menschen - und werden dadurch immer häufiger selbst krank. "Pflegefall Pflegebranche?" fragte die Techniker Krankenkasse (TK) in ihrem Gesundheitsreport 2019. "Arbeitnehmer in Pflegeberufen sind überdurchschnittlich oft krank", fasst Nicole Ramcke von der TK in Hamburg zusammen: "Sie leiden doppelt so häufig an psychischen Beschwerden und Erkrankungen des Bewegungsapparates, also etwa Rückenbeschwerden." Und sie nehmen 60 Prozent mehr Magenmedikamente als die Durchschnittsbevölkerung.

Hohes Verschreibungsvolumen

Für den Gesundheitsreport wertete die Kasse die Daten von rund 5,2 Millionen versicherungspflichtigen Mitgliedern aus, darunter etwa 146.000 Arbeitnehmern in Pflegeberufen. "Wie es zu diesem hohen Verschreibungsvolumen bei Magenbeschwerden kommt, können wir den Daten nicht eindeutig entnehmen", sagt Ramcke. Es sei gängige Verordnungspraxis, Schmerztabletten parallel mit Magensäureblockern zu verschreiben, weil Schmerzmedikamente bei längerer Einnahme oft den Magen angriffen. .

Auch andere Studien zeigen, wie sehr sich Pflegende unter Druck fühlen. Nach dem DGB-Index zu Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen aus dem Jahr 2018 sagen 69 Prozent der Beschäftigten in der Alten- und 80 Prozent in der Krankenpflege, dass sie "sehr häufig" oder "häufig" gehetzt arbeiten. Nur 22 Prozent gehen davon aus, unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen bis zum Renteneintrittsalter durchzuhalten. Das ist eine katastrophale Bilanz, denn schon jetzt gibt es nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums 25.000 bis 30.000 unbesetzte Stellen in der Pflegebranche.

Die Gesundheit des Personals

Pflegenotstand ist das Stichwort dafür. "Pflege macht leider den Pflegenden krank. Die Frage ist: Wie kann man den Pflegerinnen und Pflegern helfen, damit sie gesund bleiben und lange in ihrem Beruf arbeiten können?", fragt der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas. Eine Möglichkeit, Wohlbefinden und Gesundheit der Mitarbeiter zu verbessern, wäre die betriebliche Gesundheitsförderung. Das könnten Rückenschulungen oder Yogakurse sein, Fortbildungen zur Stressbewältigung oder etwa auch ergonomische Büromöbel.

Die TK finanziert zurzeit Modellprojekte, bei denen erforscht wird, wie betriebliche Gesundheitsförderung effizienter werden kann. Beim Projekt PROCARE entwickeln Wissenschaftler an sieben Universitäten ein Präventionsprogramm für Pflegeeinrichtungen, das sich an den Bedürfnissen des Personals orientiert. "Zeitmanagement ist ein wichtiger Punkt", sagt Nicole Ramcke. Die Pflegenden wüssten genau, dass zum Umbetten eines Patienten eigentlich zwei Pfleger nötig seien, um den eigenen Rücken zu schonen. "Aber aus Zeitdruck macht man es dann halt doch schnell allein."

Angebotene Maßnahmen passen oft nicht

"Alle haben ein Interesse daran, dass Pflegende weiter arbeiten können", sagt Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe. "Aber Pflegende haben oft das Gefühl, dass die Maßnahmen nicht ankommen oder nicht das Richtige angeboten wird." So müssten die meisten Kurse wie etwa Stressmanagement an freien Wochenenden wahrgenommen werden und würden manchmal nicht als Arbeitszeit angerechnet. "Zudem erleben wir es ganz oft, dass sich Pflegende zu Kursen anmelden, sogar in ihrer Freizeit, um dann aber kurzfristig wieder von ihren Arbeitgebern abgezogen zu werden, weil Kollegen krank werden und Personallücken gestopft werden müssen."

Die Personalbemessung im deutschen Gesundheitssystem sei schon seit 25 Jahren "grottenschlecht", sagt Knüppel: "Da darf man sich nicht wundern, dass Leute krank werden und sich in die Teilzeit flüchten." Keine andere Branche habe eine so hohe Teilzeitquote wie die Pflegebranche, sagt sie: Sie liege etwa bei 55 bis 75 Prozent. "Das ist ein riesiges Potenzial an Fachkräften. Wenn man alle diese Menschen dazu bewegen würde, nur zwei bis drei Wochenstunden mehr zu arbeiten, wäre schon viel getan."

"Der Fachkräftemangel ist hausgemacht, und nun haben die Träger große Schwierigkeiten, eine Minimalbesetzung beim Personal zu gewährleisten", sagt auch Pflegeexperte Matthias Gruß von der Gewerkschaft ver.di. "Aus diesem Treibsand kommen sie nur schwer wieder raus. Sie müssen erst einmal Anreize und gute Arbeitsbedingungen schaffen, um die Leute zu motivieren."

Bezahlung muss besser werden

Um die Arbeitsplätze wieder attraktiver zu machen, sei zum einen eine bessere und gerechtere Bezahlung nötig. "Es kann nicht sein, dass man in Sachsen-Anhalt für die gleiche Arbeit bei gleicher Qualifizierung fast 1.000 Euro weniger bekommt als etwa in Baden-Württemberg." Dringend nötig sei aber auch eine flächendeckende Tarifregelung auch für private Träger: "Bei einem öffentlichen Träger verdient man als Pflegefachkraft in der höchsten Tarifstufe über 3.500 Euro, bei den privaten ohne Tarif oft kaum mehr als 2.000 Euro."

Um Stress abzubauen und die Pflegenden nicht krank werden zu lassen, sei aber vor allem eine vernünftige Dienstplanung mit genügend Personal wichtig, sagt Gruß: "Man muss einfach mehr Leute einplanen und Springerpools einsetzen. Und man muss verlässliche Arbeitszeiten garantieren. Ausufernde Überstunden und Mitarbeiter aus der Freizeit zu holen, um Lücken zu füllen, geht gar nicht."

Barbara Driessen