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Strafvollzug

Rothaarige Meisterin, struppiger Teddy




Bettlaken zu Friedensfahnen: Ulla Mörtel-Then leitet die Schneiderwerkstatt der Justizvollzugsanstalt in Nürnberg.
epd-bild/Christoph Lefherz
Wer im Gefängnis einen Beruf lernen kann, bekommt eine große Chance. Auf die Arbeit und das normale Leben ohne Gitter bereitet im Nürnberger Knast eine unkonventionelle Schneiderin die Häftlinge vor. In der Näherei lernen die Häftlinge den Umgang mit Stoffen und mit sich selbst.

Felix Wolf (Name geändert) sitzt im Knast, wegen Drogendelikten und anderen Taten. Bevor er in Haft kam, hat er es mit mehreren Berufen versucht, als Metzger, Maler, Zimmermann. Aber nichts hat er zu Ende gebracht. "Wegen meiner Drogenproblematik hat das alles nicht funktioniert, da waren die Drogen dann wichtiger", erzählt er.

Seit einem Jahr aber macht er eine Lehre in der Näherei der Justizvollzugsanstalt Nürnberg. Seine Chefin ist Ulla Mörtel-Then, die die Näherei leitet. Eigentlich habe sie nie Schneiderin werden wollen, erzählt sie. Denn die ganze Familie hatte diesen Beruf, der Opa, die Oma, die Tante, die Mutter. Sie wollte Schreinerin lernen. Aber das hätte sie damals als Mädchen nicht werden können.

Über Afrika in den Justizdienst

Mit 23 Jahren ging die selbstbewusste Frau mit den leuchtend roten Haaren dann doch als Schneiderin für zweieinhalb Jahre nach Afrika in den Entwicklungsdienst. Dann las sie von der Stelle in der Knast-Näherei in der Zeitung. Jetzt trägt sie das dunkelblaue Shirt mit der Aufschrift "Justiz".

Im Nürnberger Gefängnis flicken ihre Leute die Anstaltswäsche, erledigen kleine Firmen-Aufträge, sie nähen Adventskalender oder spezielle Backblech-Taschen, um einen Kuchen mit zur einer Party zu nehmen. Die Arbeit mit den männlichen erwachsenen Gefangen ist Mörtel-Then zur Berufung geworden. Es mache einfach Spaß mit ihnen zu arbeiten, zu sehen, dass da Potenziale seien. "Nicht jeder ist schlecht, die haben alle irgendwo einen guten Kern".

Felix Wolf kommt mit einem Problem an einer Herrenhose zu ihr, die er kürzen soll. Erst die Naht absteppen oder erst abschneiden? Er ist sich nicht sicher. "Jetzt nähst du erst mal und machst dann deine Länge", rät die Meisterin.

Es sei ein Privileg, im Gefängnis eine Arbeit zu haben, eine Ausbildung noch viel mehr, berichtet Wolf. Er habe die Chance ergriffen, weil er mittlerweile in dem Alter sei, in dem er ein normales Leben führen wolle. "Ich kann nicht permanent rein, raus, rein, raus, in den Knast". Er wolle nicht mehr straffällig werden und keine Drogen mehr nehmen.

Beruf ist komplizierter als gedacht

Der Schneiderberuf fasziniere ihn, "weil er mehrschichtiger und vielseitiger ist, als man im ersten Moment denkt". Er brauche Fingerfertigkeit, Geduld, Vorstellungsvermögen und man habe viel mit Kunden und mit verschiedenen Materialien zu tun. Aber der Beruf sei auch komplizierter als gedacht.

Drogenabhängige hätten oft ein Defizit beim Fühlen mit den Fingern, weil ihre Nerven angegriffen seien, erklärt Mörtel-Then. "Das heißt, wir müssen erst mal üben, uns selbst zu spüren, weil Schneider doch ein ziemlich gefühlvoller Beruf ist." Und diese Gefühle machten unter Umständen Angst.

"Die Arbeit ist immer auch Therapeut", lacht die Chefin. Ihre Schützlinge müssten begreifen, dass man nicht als Meister vom Himmel fällt. Wenn einer wütend schreit, weil etwas nicht so funktioniert, wie er denkt, "dann sagen wir, das Schreien hat nichts verändert". Wir fangen mit der Aufgabe noch mal an, und dann noch mal und irgendwann funktioniert es. Mörtel-Then hat dafür dann extra eine Lobwand in ihrem Büro, von der sich die Mitarbeiter einen Lobzettel abreißen können.

Beim Schneidern für das Leben lernen

Felix Wolf und die anderen Mitarbeiter lernen in der Näherei Schneidern und etwas fürs Leben, den anderen zu akzeptieren, wie er ist oder Druck auszuhalten. Manche ehemalige Häftlinge, die es geschafft haben, rufen Mörtel-Then an. Einer habe mit dem Zeugnis aus der JVA eine Stelle bekommen und mache derzeit seinen Meister. "Das spornt mich an", sagt die Chefin.

Vor Felix Wolf auf dem Tisch sitzt sein erstes Prüfungs-Stück: Ein süßer brauner Bär, etwa 30 Zentimeter groß, mit dunklen Fußsohlen und Knopfaugen. Den habe er komplett allein zugeschnitten, genäht und ausgestopft, berichtet der Lehrling. Die Chefin habe ihm zwar gesagt, das Fell müsse am ganzen Körper in eine Richtung wachsen, "aber ich wollte das nicht. Der sollte Charakter haben, deswegen sitzt er auch schief".

Er passt auch gut zu Werkstatt-Leiterin Ulla Mörtel-Then. Auch sie ist alles andere als angepasst. Anfangs habe sie sich darüber gar nicht den Kopf zerbrochen, sagt die ehrenamtliche Kirchenvorsteherin. Aber die Gefangenen hätten sie immer wieder gefragt: "Woher nimmst du eigentlich die Kraft, dich mit Idioten wie uns auseinanderzusetzen?" Und sie habe festgestellt, dass die Kraft aus ihrem Glauben und der Einstellung komme, "der Mensch ist erst mal Mensch, und er wird geliebt, so wie er ist, ohne Wenn und Aber."

Christoph Lefherz