sozial-Politik

Bundesregierung

Darum geht es bei der geplanten Reform der Notfallversorgung




Rettungswagen auf Weihnachtsmarkt in Frankfurt am Main
epd-bild/Heike Lyding
Notaufnahmen in Kliniken entlasten sowie unnötige Rettungsfahrten vermeiden - das sind die Ziele eines Gesetzentwurfs zur Notfallversorgung, den Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgelegt hat. Krankenkassen, Kliniken und Ärzte gehen auf Distanz.

"Die Bürger müssen sich im Notfall darauf verlassen können, dass sie schnell und gut versorgt werden", erklärt Bundesgesundheitsminister Spahn seinen Vorstoß. "Deshalb wollen wir die Notfallambulanzen der Krankenhäuser, die Notärzte und die Bereitschaftsdienste der Ärzte besser verzahnen. Unnötige Warteschlangen im Krankenhaus passen nicht zu einem der besten Gesundheitssysteme der Welt." Doch seine Pläne werden kritisch gesehen. Der epd erläutert Spahns Pläne und woran sich der Widerspruch festmacht.

Warum ist eine solche Reform überhaupt nötig?

Spahn verweist darauf, dass an Wochenenden die Notaufnahmen regelmäßig auch mit Patienten voll sind, die oft nur Bagatellfälle sind. Auch beklagt er eine zunehmende Inanspruchnahme der Rettungsdienste bei Beschwerden, die alles andere als lebensbedrohlich sind und die besser von Haus- und Fachärzten versorgt werden können.

Ist das tatsächlich ein Problem?

Ja. Das belegt eine Umfrage von Forsa im Auftrag der Krankenkasse KKH. Demnach blockieren Patienten mit Bagatellerkrankungen in der Tat die Abläufe in den Notaufnahmen. Der Erhebung zufolge würde mehr als jeder Dritte der rund 1.000 Teilnehmer der Umfrage das Krankenhaus trotz geöffneter Arztpraxen ansteuern - auch bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden. Von den Befragten, die in den vergangenen fünf Jahren mindestens einmal in der Notaufnahme waren, ging fast jeder Dritte innerhalb der Öffnungszeiten von Arztpraxen ins Krankenhaus - auf eigene Initiative, ohne Überweisung oder Rettungseinsatz.

Was ist der Kern der geplanten Reform?

Ziel sind gemeinsame Notfall-Leitsysteme (GNL) von Ländern und Kassenärzten. Sie sollen hilfesuchende Patienten und deren Behandlung besser steuern. Dazu ist vorgesehen, dass in sogenannten Integrierten Notfallzentren (INZ) an ausgewählten Krankenhäusern entschieden wird, ob und wo die Patienten versorgt werden. Es geht also um eine Lotsenfunktion für alle Hilfesuchende in Notfällen.

Was ist die Aufgabe der neuen Leitsysteme?

Sie bestehen in der verbindlichen Zusammenarbeit der Träger der Rettungsleitstellen der Rufnummer 112 und der Kassenärztlichen Vereinigungen mit der Rufnummer 116 117. Kernelement für die operative Arbeit soll eine Vereinbarung über ein verbindliches Ersteinschätzungsverfahren sein, auf das eine Entscheidung über die weitere Behandlung der Patienten folgt.

Wie soll das administrativ erreicht werden?

Spahn will die ambulanten, stationären und rettungsdienstlichen Strukturen zu einem integrierten System der medizinischen Notfallversorgung weiterentwickeln. Dazu ist eine verbindliche Kooperation und digitale Vernetzung aller an der Versorgung Beteiligten nötig. Geregelt werden soll das vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der eine bundesweit geltende Richtlinie über die medizinische Notfallrettung und integrierte Notfallzentren beschließen muss.

Wo erfolgt künftig die Akutversorgung?

In den Integrierten Notfallzentren (INZ), die rund um die Uhr erreichbare Anlaufstellen an ausgewählten Krankenhäusern sein sollen. Sie gewährleisten die notdienstliche Versorgung. INZ sollen die Notaufnahmen der Kliniken um all jene Fälle entlasten, die besser ambulant versorgt werden können.

Wie sieht der Zeitplan der Umstellung aus?

Das Gesetz soll bis Ende 2020 verabschiedet werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt die Details. Im Bundesrat ist das Gesetz nicht zustimmungsbedürftig.

Wer soll künftig die Notfallrettung bezahlen?

Alle Hilfen am Notfallort und die Rettungsfahrten, die heute durch die Träger der Rettungsdienste nach den Landesrettungsdienstgesetzen erbracht werden, sollen jeweils eigenständige Leistungen der Krankenversicherung werden.

Wie bewerten die Krankenhäuser die Pläne?

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht von einem Affront. Der Beitrag der Kliniken zur Notfallversorgung werde mit diesem Konzept "in geradezu diskriminierender Weise den Interessen von Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) preisgegeben", rügt der Dachverband. "Statt den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) den Sicherstellungsauftrag, den sie bislang nicht erfüllen konnten, wegzunehmen, sollen sie nun dominant über die Leistungen, die die Krankenhäuser bislang im Rahmen ihrer ambulanten Notfalleinrichtungen erbracht haben, bestimmen." Weiterer Kritikpunkt: Für die Patienten würden die Anlaufstellen im Notfall stark begrenzt.

Was halten die Kliniken an dem Reformansatz für falsch?

Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, rügt, dass ambulante Notfallleistungen nur noch in den INZ an ausgewählten Krankenhäusern erbracht werden dürfen. Bei der Entscheidung, welche Kliniken das sind, hätten die Krankenkassen und die KVen die Mehrheit. Damit könnten sie über die Zukunft der Krankenhausstrukturen maßgeblich entscheiden. Das stehe in absolutem Widerspruch zur verfassungsrechtlichen Zuordnung der Zuständigkeit für die Krankenhausplanung auf die Länder.

Gibt es auch Zustimmung seitens der Experten?

Nicht wirklich. Zwar betont der Marburger Bund, es sei grundsätzlich richtig, die Kliniken bei der Notfallversorgung zu entlasten, doch habe der Gesetzentwurf viele Konstruktionsmängel. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, sagte, anstatt die regionalen Kooperationen zwischen Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen gesetzlich zu flankieren, würden wirtschaftlich und organisatorisch abgetrennte Einrichtungen an den Kliniken entstehen, ohne dass die Krankenhausärztinnen und -ärzte an der Ausgestaltung beteiligt werden. Es sei auch falsch, Krankenhäuser in Zukunft für Leistungen in ihren Notfallambulanzen zu bestrafen, wenn sie kein INZ-Standort sind. "Kein Krankenhaus kann einen Patienten abweisen, der als Notfall in die Notaufnahme kommt", so die Verbandschefin.

Wie reagierte die Opposition?

Kirsten Kappert-Gonther, Obfrau der Grünen im Gesundheitsausschuss, sagte, eine Reform der Notfallversorgung sei überfällig. Das bisherige Angebot sei für viele Patientinnen und Patienten nur schwer durchschaubar. "Wir benötigen ein klar verständliches Angebot aus einer Hand: eine Notrufnummer, eine Anlaufstelle, eine einheitliche Ersteinschätzung." Zugleich sei es nicht nachvollziehbar, warum Minister Spahn von seinen ursprünglichen Forderungen absieht und den Sicherstellungsauftrag für den Notdienst nicht an die Länder überträgt. "Die Planung aus einer Hand ist besser als ein Kompetenz-Wirrwarr." Den Patientinnen und Patienten sei es egal, ob sie ambulant oder stationär versorgt werden, Hauptsache sie bekommen Hilfe.

Dirk Baas