sozial-Politik

Abtreibung

Wenn eine Frau ihr Kind nicht will




Abtreibungsgegner protestieren in Berlin.
epd-bild/Christian Ditsch
Expertinnen der Schwangerschaftskonfliktberatung sehen den Strafrechtsparagrafen 219a auch nach der Neuregelung kritisch. Es habe "keine genügende Entkriminalisierung" bei dem Thema stattgefunden. Leidtragende seien die Frauen.

Viele Menschen meinen, es sei leicht, ein Kind abzutreiben. "Aber das stimmt nicht", sagt Beate Schlett-Mewis von pro familia in Würzburg. Allein an Informationen zu kommen, sei mühsam, denn Ärzte dürfen nicht damit "werben", dass sie abtreiben. So will es Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs. Dass er kürzlich reformiert wurde, hat die Situation kaum entschärft. "Er muss weg", sagt Schlett-Mewis mit Blick auf den Aktionstag für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs am 28. September.

Informationsfreiheit eingeschränkt

Die meisten Staaten in Europa gehen laut Schlett-Mewis heute liberal mit dem Thema um: "Medizinisch korrekte Informationen über sichere Abbrüche zu verbreiten, ist erlaubt." Deutschland gehöre neben Albanien, Russland und drei weiteren Ländern zu jenen Staaten, in denen die Informationsfreiheit eingeschränkt wird. Dagegen will der Aktionstag vorgehen. Ein "Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung", in dem auch pro familia Mitglied ist, fordert eine europaweit einheitliche Politik. Ärzte sollen grundsätzlich darüber informieren dürfen, dass sie Abbrüche anbieten und wie sie Abbrüche vornehmen.

In welche Notlage Schwangere geraten können, veranschaulicht Beate Schlett-Mewis am Beispiel ihrer Klientin Melanie Schön (Name geändert). Kurz, nachdem Schön schwanger geworden war, stellte sie fest, dass ihr neuer Partner, Vater des ungeborenen Kindes, massive psychische Probleme hat. "Er stellte völlig verrückte Sachen an, außerdem behandelte er die sechsjährige Tochter der Frau schlecht", erzählt ihre Konfliktberaterin. Die werdende Mutter geriet in Panik. Würde sie das Kind austragen, würden sie und ihre Tochter jahrelang mit diesem Mann zu tun haben: "Das war für sie unvorstellbar, weshalb sie sich entschloss, die Schwangerschaft abzubrechen."

In Fällen wie diesem kann Abtreibung dem Kinderschutz dienen, meint Schlett-Mewis: "So paradox das klingt." Schön befürchtete, dass ihr Kind in chaotische Verhältnisse hineingeboren würde. Andere Frauen berichten Schlett-Mewis in der Beratung von großen finanziellen Problemen. Oder sie erzählen von prekären Wohnverhältnissen, in denen ein Kind nicht gesund aufwachsen könne. Manchmal hört Schlett-Mewis sogar: "Was ich mache, tue ich aus Liebe zu meinem Kind." Die meisten Frauen fragen im Beratungsgespräch direkt nach einem Arzt, der Abbrüche vornimmt. Doch pro familia darf keine Adressen herausgeben.

Lückenhafte Liste

Das, so Schlett-Mewis, ist ihnen offiziell verboten: "Wir haben eine entsprechende Weisung von der Regierung von Unterfranken." Nur Gesundheitsämter, Krankenkassen und Gynäkologen sei es erlaubt, Namen und Adressen zu nennen. Außerdem gibt es neuerdings eine Liste der Bundesärztekammer (BÄK). Die wird nach Auskunft der BÄK-Pressestelle seit Ende Juli aufgebaut. Noch ist sie lückenhaft. Bayerische Ärzte fanden sich darauf bis vor kurzem gar nicht. Dass es in Würzburg eine stationäre und ambulante Möglichkeit gibt, Abbrüche vornehmen zu lassen, ist der Liste bis heute nicht zu entnehmen.

Immerhin sei es jetzt möglich, sich zu informieren, sagt Sabine Demel, bayerische Vorsitzende des Vereins "donum vitae" zur Förderung des Schutzes des menschlichen Lebens. Natürlich seien noch nicht allzu viele Ärzte aufgeführt. Das liege allerdings auch daran, mit dass der Schwangerschaftsabbruch nicht zur ärztlichen Grundversorgung gehört. "Es bleibt der Gewissensentscheidung jedes Arztes vorbehalten, ob er sich in die Liste eintragen lässt." Auch die Frauen, die in die ergebnisoffene Konfliktberatung von "donum vitae" kommen, dürfen am Ende ihr Gewissen entscheiden lassen: "Wobei wir uns als Christen wünschen, dass sie Ja sagen zu ihrem Kind."

Andere Lebensschützer kennen für abtreibende Frauen kein Pardon. Genau eine Woche vor dem Aktionstag für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs demonstrierten sie in einem "Marsch fürs Leben" in Berlin gegen Abtreibungen. Der Polizeilichen Kriminalstatistik zufolge zeigten Lebensschützer in den vergangenen Jahren auch immer häufiger Ärzte an, die darüber informierten, wie sie Abtreibungen durchführen. Erst im Juni wurden wieder zwei Berliner Gynäkologinnen verurteilt.

Ideologische Vorurteile gegen Frauen

Nach Einschätzung von Schlett-Mewis erschweren ideologische Vorurteile gegen Frauen die neu entflammte Debatte um Schwangerschaftsabbrüche. "Es wird so getan, als würden Frauen dies leichtsinnig tun und als seien sie nicht imstande, eine überlegte Entscheidung zu treffen", sagt die Pro familia-Mitarbeiterin. Doch das habe sie in ihrer Beratungsarbeit noch nie erfahren. Viele Frauen blieben bis zum Schluss leicht ambivalent - zu ihrem eigenen Nachteil: "Wir haben es schon erlebt, dass sich Klinikärzte wegen dieser Ambivalenz geweigert haben, den Abbruch durchzuführen."

Das stürze Frauen in seelische Qualen. Denn sie könnten sich trotz leichter Zweifel letztlich nicht vorstellen, das Kind, das in ihrem Bauch heranwächst, zur Welt zu bringen. Sehr problematisch ist laut Schlett-Mewis auch, dass die Frauen allein auf ein Vorgespräch in der Klinik mitunter lange warten müssen: "Teilweise bekommt man erst nach drei Wochen einen Termin." Bis zum Eingriff könne eine weitere Woche vergehen. Manche Frauen seien dann über der gesetzlichen Frist von zwölf Wochen ab Befruchtung - und müssen ihr Kind austragen.

Dass der Paragraf 219a trotz Neuregelung heikel bleibt, bestätigt Carola Mägdefrau vom Frauen & Mädchen Gesundheitszentrum Nürnberg (FMGZ): "Es hat keine genügende Entkriminalisierung stattgefunden." Zwar dürften Ärzte informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen: "Sie müssen aber weiterhin mit Strafanzeigen rechnen, wenn sie beschreiben, welche Methoden sie anwenden." Das Team des Gesundheitszentrums ist deshalb einhellig der Meinung: "Der Paragraf 219a gehört ersatzlos gestrichen."

Frauen, befürchtet das FMGZ, werden wieder vermehrt ins Ausland reisen, weil die Situation hierzulande so problematisch sei. In Nürnberg selbst gebe es zwar eine Praxis auf dem Gelände des Klinikums, die Abbrüche vornimmt. Mägdefrau: "Wenn eine Frau aber nicht dorthin gehen möchte, weil sie im Klinikum arbeitet und es ihr zu nah ist, wird es sehr schwierig."

Pat Christ