sozial-Recht

Landessozialgericht

Prothese auf Kassenkosten: Bedürfnis nach Sport muss erfüllt werden




Fertigung von Fußprothesen
epd-bild/Charlotte Morgenthal
Behinderte Menschen mit einem oder zwei fehlenden Beinen müssen für ihren Wunsch nach Sport nicht unbedingt tief ins Portemonnaie greifen. Denn die Krankenkassen müssen in Einzelfällen auch spezielle Sportprothesen bezahlen.

Auch wer nur noch ein oder gar kein Bein mehr hat, muss nicht unbedingt auf allgemeinen Sport und insbesondere auf Joggen verzichten. Denn die gesetzliche Krankenkasse kann im Einzelfall im Zuge des Behinderungsausgleichs auch zur Kostenübernahme einer Oberschenkel-Sportprothese verpflichtet sein, entschied das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in einem am 6. September veröffentlichten Urteil. Lediglich eine Oberschenkel-Sportprothese allein für den Vereinssport müsse die Kasse nicht zahlen, erklärten die Münchener Richter mit Verweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. März 2013.

Nur Dressurreiten ohne Prothese möglich

Im konkreten Fall bekam damit eine 24-jährige Frau recht, deren Beine bis auf einen Teil der Oberschenkel fehlten. Außerdem ist sie von schweren Funktionsstörungen im Bereich der Ellenbogen und Hände betroffen. Ihre Krankenkasse hat sie seit 2014 mit einem C-Leg 4-Oberschenkelprothesen-System versorgt. Mit den Prothesen kann sie gehen.

Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie zusätzlich eine Oberschenkel-Sportprothese. Das Hilfsmittel ermögliche ihr allgemeine Sportarten, insbesondere auch das Joggen. Der Sport stelle für junge Menschen ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens dar. Derzeit könne sie lediglich Dressurreiten ausüben, wofür sie überhaupt keine Prothese benötige. Andere Sportarten seien wegen ihrer Funktionsstörungen an den Händen nicht möglich.

In ärztlichen Attesten wurde ihr bescheinigt, dass die Sportprothesen zudem eine bestehende Fehlstatik ausgleichen und die Muskulatur stärken könnten. Das Hilfsmittel würde einen "enormen Gewinn an Lebensqualität bedeuten", trug die Frau vor.

"Wesentlicher Gebrauchsvorteil"

Die Krankenkasse hielt dagegen die Versorgung mit den regulären C-Leg 4-Prothesen für ausreichend. Damit könne sie sicher und gefahrlos gehen und stehen. Der Zusatznutzen einer Sportprothese ziele nicht auf die Sicherstellung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens. Außerdem habe das BSG in anderen Fälle bereits die Kostenübernahme für Sportprothesen verneint.

Sowohl das Sozialgericht München als auch das LSG urteilten, dass die Klägerin Anspruch auf Kostenübernahme für die Sportprothesen habe. Diese stellten einen Ausgleich einer bestehenden Behinderung dar, für den die Krankenkasse im jeweiligen Einzelfall aufkommen müsse. Hier seien die Hilfsmittel erforderlich, "weil sie gegenüber den vorhandenen Prothesen einen wesentlichen Gebrauchsvorteil bieten, indem sie das Laufen ermöglichen", entschied das LSG.

Während im vom BSG entschiedenen Fall der Kläger mit seiner regulären Prothese Sport treiben konnte und eine Sportprothese nur für den Badminton-Vereinssport haben wollte, sei die Klägerin dagegen so stark beeinträchtigt, dass sie - mit Ausnahme des Dressurreitens - mit der regulären Prothese keinerlei Sport treiben könne. Nach der neu gefassten UN-Behindertenrechtskonvention stehe aber nun das Ziel der Teilhabe an den verschiedenen Lebensbereichen im Vordergrund. Nach aktuellem Recht sei individuellen Wünschen größeres Gewicht beizumessen. Behinderte Menschen müssten ihr allgemeines Bedürfnis nach Sport, insbesondere Joggen, nachkommen können. Das LSG ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls die Revision zum BSG zu.

Grundbedürfnis des täglichen Lebens

Das BSG hatte in seinem Urteil aus dem Jahr 2013 allerdings auch klargestellt, dass es keinen Anspruch auf Optimalversorgung gebe. Die Krankenkasse müsse ein Hilfsmittel nur dann bereitstellen, "wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft".

So könnten behinderte Menschen neben einer normalen Laufprothese auch Anspruch auf eine süßwassergeeignete Badeprothese haben, urteilte das BSG am 25. Juni 2009. Damit werde das Mobilitätsbedürfnis beispielsweise im häuslichen Bad und im Schwimmbad befriedigt. Eine spezielle Salzwasser-Badeprothese müssen die Kassen nach einem weiteren Urteil vom selben Tag jedoch nicht bezahlen; denn diese erfülle kein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens.

Eine Kostenübernahmepflicht bestehe dagegen bei einer sogenannten C-Leg-Prothese mit mikroprozessorgesteuertem Kniegelenk, so das BSG in mehreren Urteilen vom 16. September 2004. Die Computer-Beinprothese verfüge gegenüber mechanischen Prothesen über "wesentliche Gebrauchsvorteile" wie einem natürlicheren Gangbild und einer Verringerung der Sturzgefahr. Diese wirkten sich allgemein im Alltagsleben positiv aus.

Az.: L 4 KR 339/18 (LSG Bayern, Sportprothese)

Az.: B 3 KR 3/12 R (BSG, Sportprothese)

Az.: B 3 KR 2/08 R und B 3 KR 19/08 R (BSG, Süßwasserprothese)

Az.: B 3 KR 10/08 R (BSG, Salzwasserprothese)

Az.: B 3 KR 1/04 R, B 3 KR 67/04 R und B 3 KR 2/04 R (BSG, C-Leg-Prothese)

Frank Leth