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Experten: Firmen ignorieren arbeitswillige Rentner




Ein weiterbeschäftigter Rentner an einer Drehbank
epd-bild/Norbert Neetz
Experten haben auf dem Kirchentag in Dortmund massive Defizite für weiterarbeitende Rentnerinnen und Rentner in den Firmen beklagt. Diese Mängel, so hieß es, gefährdeten die Altersversorgung und das Rentensystem gleichermaßen.

Weder die Unternehmen noch die Sozialpolitik seien derzeit auf diese wachsende Gruppe von Senioren eingestellt, sagte die Buchautorin Margaret Heckel aus Potsdam am 20. Juni bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Produktiv, engagiert, ausgegrenzt?". Deutschland sei nach Japan die zweitälteste Gesellschaft der Welt, deren Arbeitspotenzial von Beschäftigten jenseits der Altersgrenze nicht einmal in Ansätzen ausgeschöpft werde, erklärte sie.

Die Journalistin warb für sozialpolitische Reformen, die das sogenannte lebensphasenorientierte Arbeiten möglich machen. "In wenigen Jahrzehnten wird es absolut normal sein, 100 Jahre alt zu werden", sagte Heckel. "Darauf muss sich die Arbeitswelt einstellen" - auch weil länger gearbeitet werden müsse, um die Rentenkasse zu füllen. Das heutige System der Alterssicherung sei das Modell des zurückliegenden Jahrhunderts, betonte die Autorin.

Kein Zwang zu längerer Arbeitsdauer

"Niemand sollte gezwungen werden, länger zu arbeiten", betonte Heckel. "Doch wer das freiwillig machen will, sollte die Möglichkeit dazu haben." 31 Prozent der Männer und 28 Prozent der Frauen arbeiten nach ihren Angaben in den ersten drei Jahren nach ihrem Renteneintritt weiter, Tendenz steigend. Und noch eine weitere Zahl sei bemerkenswert: Aktuell gibt es bundesweit 313.000 Rentner über 65 Jahre, die noch erwerbstätig sind. Vor zehn Jahren habe deren Zahl noch bei 113.000 gelegen.

Das heutige Dreiphasenmodell mit den Abschnitten Lernen, Arbeiten und Ausruhen sei überholt. Heckel warb dafür, alle drei Phasen bis ins hohe Alter hinein anzuwenden. Auch weiterarbeitende Senioren könnten sich dann Ruhephasen gönnen und dann wieder in den Job gehen. Gehe man so vor, dann entspanne sich das dann längere Arbeitsleben, sagte Heckel.

"Menschen können Lernen bis zum letzten Atemzug"

Und: Auch Senioren könnten über Fort- und Weiterbildung, gerade im Zeitalter der Digitalisierung, fit für den Arbeitsprozess gehalten werden. "Menschen können ständig Neues lernen", sagte sie. "Das gilt bis zum letzten Atemzug." Der weiterverbreitete Spruch "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" sei überholt "und gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Um Senioren für die Herausforderungen des Jobmarkts fit zu halten, müsse die Fort- und Weiterbildung ganz neu ausgerichtet werden.

Matthias Jung, Landessozialpfarrer in Hannover, sagte, Arbeit sei als Grundbedürfnis des Menschen, etwas für sich und andere zu tun, nicht ausreichend anerkannt. Viele Unternehmen verlören in Zeiten des Fachkräftemangels qualifiziertes Personal in den Vorruhestand, weil "die Betroffenen nicht zufrieden sind mit ihrem Tun". Sie seien oft gelangweilt und "wollen nur noch raus aus der Firma". Hier laufe noch ein Menge schief in den Unternehmen.

Heutiges Rentensystem wird nicht überleben

Der Theologe sagte, die Politik müsse auf die Alterung der Gesellschaft reagieren. "Unser heutiges Rentensystem wird die nächsten Jahrzehnte nicht überleben", erklärte Jung. Das mache ihm große Sorgen für die Zukunft, denn ohne Renten in ausreichender Höhe sei für die Betroffenen keine gesellschaftliche Teilhabe mehr gewährleistet.

Diakoniepräsident Ulrich Lilie sagte, auch seine Organisation suche nach Wegen, etwa Pflegefachkräfte, die oft frühzeitig aus dem Beruf aussteigen, länger zu halten. Das sei ein riesiges Thema: "Unsere Unternehmen wissen das." Aber anders als gewerbliche Unternehmen, die bei guter Geschäftslage spezielle Angebote für ihre Beschäftigten machen können, müsse sich die Diakonie oft finanziell nach der Decke strecken. "Die Gewinnmargen sind in der Pflege andere."

Es gebe einige gute Ansätze, aber Lilie räumte auch ein, dass es "hier noch Luft nach oben gibt". Eine Möglichkeit, die vor allem körperlichen Belastungen im Job zu senken, sei der Einsatz von Assistenzsystemen: "Wir befassen uns sehr intensiv mit dem Thema Robotik."

Dirk Baas