sozial-Thema

Kirchentag

Missbrauch

Appell für neue "Kultur des Vertrauens"




Auf dem Podium zum Thema sexuelle Gewalt (v.l.): Nikolaus Schneider, Anselm Grün, Kirsten Fehrs und Moderatorin Claudia Keller
epd-bild/Thomas Lohnes
Prominente Theologen haben den Missbrauchs-Skandal als Zäsur für ihre Kirchen bezeichnet. "Eine Kultur des Vertrauens im Zusammenhang mit Sexualität zu erlernen, das ist absolut wichtig für uns alle", sagte der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider.

Schneider, ehemaliger rheinische Präses, betonte am 22. Juni auf dem evangelischen Kirchentag in Dortmund zugleich, beim Thema Vertrauen gehe es auch um das Thema Macht.

Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sagte auf einem Podium zum Thema "Vertrauen und Machtmissbrauch", in der Kirche müsse nicht nur Vergangenes aufgearbeitet werden. Es brauche auch aktuelle Schutzkonzepte und einen Schutzraum. Dies sei auch eine "Haltungsfrage", sagte Fehrs unter großem Applaus des Publikums. Die Bischöfin ist Sprecherin des kirchlichen "Beauftragtenrats zum Schutz vor sexualisierter Gewalt".

"Betroffene anhören, nicht vernehmen"

Detlev Zander vom Netzwerk Betroffenen Forum aus dem bayerischen Plattling sagte, das Thema sexualisierte Gewalt in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen hätte nicht diese Resonanz gefunden, "wenn wir Betroffene euch nicht auf die Füße getreten wären". Viele Betroffene hätten sich aus Angst und Scham, man würde ihnen nicht glauben, lange niemandem anvertraut: "Betroffene müssen angehört, nicht vernommen werden."

Kerstin Claus vom Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) in Berlin beklagte ebenfalls, für Betroffene sei es oft belastend, wenn sie mit kirchlichen Institutionen über ihre Erfahrungen sprechen: "Die Kirche wollte mich zum Schweigen bringen." Es brauche daher eine externe fachliche Begleitung und klare Regeln bei Fällen von sexualisierter Gewalt.

Grün: Opfer sind keine Nestbeschmutzer

Der Benediktinerpater und Lebenshilfe-Berater Anselm Grün (Münsterschwarzach) fügte hinzu, wenn Unheiliges an heiligen Orten geschehe, sei dies auch eine Form von "spirituellem Missbrauch". Opfer sexualisierter Gewalt würden zudem oft noch zu "Nestbeschmutzern" gemacht, wenn ihnen vorgeworfen werde, die "heile Welt" von Familie oder Kirche zu stören.

"Sexualisierte Gewalt ist weit verbreitet und durchdringt die jugendliche Lebenswelt", fasste die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Maschke (Marburg) eine aktuelle hessische Studie zusammen. Das Thema sei weiterhin mit großer Scham behaftet. Rund die Hälfte der Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren hätten noch nie in der Schule über sexualisierte Gewalt gesprochen, im Elternhaus werde bei rund 60 Prozent nicht darüber geredet. Laut Maschke ist die Studie auch auf andere Bundesländer übertragbar.

Stephan Cezanne