sozial-Recht

Oberverwaltungsgericht

Ambulant betreute Pflege-WG in reinem Wohngebiet zulässig




Bewohnerin einer Senioren-WG in ihrem Zimmer
epd-bild/Jürgen Blume
Eine Wohngemeinschaft mit ambulant betreuten, pflegebedürftigen Menschen ist in einem reinen Wohngebiet erlaubt. Nach einem Gerichtsurteil ist hierfür entscheidend, dass die WG "selbst organisiert" ist.

In einem reinen Wohngebiet dürfen ambulant betreute, pflegebedürftige Menschen in einer Wohngemeinschaft wohnen. Nach der bundesweit geltenden Baunutzungsverordnung können auch Wohngebäude in einem reinen Wohngebiet erlaubt sein, die "ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen", teilte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz am 6. Februar zu einem kürzlich veröffentlichten Beschluss mit. Die Koblenzer Richter lehnten in ihrer Entscheidung damit die Zulassung zur Berufung ab.

Anwohner wollen Pflege-WG verhindern

Im konkreten Fall ging es um eine Wohngemeinschaft mit neun überwiegend pflegebedürftigen älteren Menschen. Die WG hatte eine Ökumenische Sozialstation mit einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung beauftragt. Das im Schichtdienst arbeitende Pflege-und Betreuungspersonal erbrachte hauswirtschaftliche Unterstützungsleistungen und förderte das Gemeinschaftsleben. Einzelne WG-Bewohner hatten die Sozialstation zusätzlich mit unterschiedlichen Pflegeleistungen wie Hilfen bei der Morgen- und Abendtoilette beauftragt.

Anwohner wollten die Pflege-WG jedoch nicht dulden. Es handele sich hier um eine Pflegeeinrichtung. Diese sei nach der Baunutzungsverordnung 1977 in einem reinen Wohngebiet nicht erlaubt. Die Bewohner würden nicht in der WG "wohnen", sondern seien dort "untergebracht". Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße urteilte, dass in der Pflege-WG durchaus "gewohnt" werde und diese daher in einem reinen Wohngebiet erlaubt sei.

Selbstbestimmt und freiwillig

Die wegen der Nichtzulassung der Berufung eingelegte Beschwerde wies das OVG nun zurück. Zwar seien Pflegeheime, bei denen der "Versorgungs-, Pflege und Betreuungscharakter im Vordergrund" stehe, nach den geltenden Regelungen in einem reinen Wohngebiet nicht erlaubt.

Davon sei aber die selbst organisierte Wohngemeinschaft abzugrenzen. Hier lebten die Mitglieder der Gemeinschaft freiwillig in dem Haus, wobei es keine Rolle spiele, "dass der freie Wille zum Teil nur mit Hilfe eines Betreuers umgesetzt" wurde, entschieden die Koblenzer Richter. Für das "Wohnen" im Wohngebiet komme es zudem auf die "selbstbestimmte Häuslichkeit" an. Dies sei hier der Fall.

Die Bewohner hätten ihr eigenes Zimmer mit ihren persönlichen Dingen ausgestattet. Es gebe keine Mehrfachbelegung oder vorgegebene Schlaf- und Ruhezeiten. Feste Essenszeiten existierten auch nicht. Über die Aufnahme neuer WG-Mitglieder werde per Mehrheitsbeschluss entschieden. Die Lebensführung werde hier - anders als von Pflegeeinrichtungen - nicht vorgegeben, befand das OVG.

Es fehlt an der Selbstständigkeit

Das Bundesverwaltungsgericht entschied in einem Beschluss vom 20. Dezember 2016, dass dagegen psychisch kranke Kinder in einem reinen Wohngebiet nicht in einer Wohngruppe untergebracht werden dürfen. Sie würden dort nicht "wohnen".

Wohnen sei durch eine "auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet", so das Bundesverwaltungsgericht. Hier könnten die Kinder jedoch die Haushaltsführung und den häuslichen Wirkungskreis nicht selbstständig gestalten. Daher würden sie laut Baurecht in der Wohngruppe auch nicht "wohnen".

Tagespflegeeinrichtung nicht in reinem Wohngebiet

Das Verwaltungsgericht Kassel entschied in einem am 14. Oktober 2013 bekanntgegebenen Beschluss, dass in einem reinen Wohngebiet auch der Bau von Tagespflegeeinrichtungen nicht erlaubt ist. Im konkreten Fall wurde solch eine Einrichtung untersagt, so dass der Projektentwickler sein Vorhaben nachbesserte und nun "betreutes Wohnen" anbieten wollte.

Dies wurde vom Verwaltungsgericht dagegen gebilligt, da die Bewohner dort ihre Haushaltsführung weitgehend selbst gestalten und sich im Gebäude einrichten können.

Az.: 8 A 11049/18 (OVG Koblenz, Pflege-WG)

Az.: 4 B 49.16 (Bundesverwaltungsgericht, psychotherapeutische Wohngruppe)

Az.: 2 L 653/13.KS (Verwaltungsgericht Kassel, Tagespflegeeinrichtung)

Frank Leth