

Bad Vilbel (epd). Tagelang lag der demente Vater von Hannah Brandt (Name geändert) mit einer lebensgefährlichen Erkrankung im Krankenhaus, tagelang wusste die Tochter nichts davon. Das Heimpersonal des Seniorenzentrums Ago im hessischen Bad Vilbel, in dem ihr Vater untergebracht ist, hatte nicht Bescheid gesagt. Brandt kann viele solcher Geschichten erzählen: von kotbeschmierten Schuhen, von ungereinigten Gebissen und von überlastetem Pflegepersonal. Sie ist wütend und erschöpft. "Alle Menschen haben das Recht auf Würde und das hier hat mit würdevollem Altern nichts zu tun." Der Pflegeheimbetreiber weist die Vorwürfe zurück.
Das Pflegeheim in Bad Vilbel gehört zu den Alloheim-Senioren-Residenzen, einem privaten Betreiber mit Sitz in Düsseldorf. Ende 2017 hatte die schwedische Beteiligungsgesellschaft Nordic Capital die Pflegeheimkette vom US-Konkurrenten Carlyle gekauft. Carlyle und Nordic Capital sind sogenannte Private-Equity-Gesellschaften, global agierende Beteiligungsgesellschaften, die in verschiedene Unternehmen in diversen Branchen investieren.
Hinter Pflegeheimen, die von solchen Gesellschaften gekauft werden, stehen verschiedene Anleger, die Eigenkapital zur Verfügung stellen. Mit dem Kapital werden für einen begrenzten Zeitraum Unternehmensanteile erworben. Ziele sind die Erwirtschaftung einer lukrativen Rendite und der anschließende Verkauf. Angaben der Gewerkschaft ver.di zufolge behält eine Private-Equity-Gesellschaft eine Pflegeeinrichtung für im Schnitt 5,4 Jahre.
"Private-Equity-Gesellschaften investieren in der Regel nur in wachsende Märkte oder in solche, aus denen sich andere Player zurückziehen", erklärt Mark Wahrenburg, Wirtschaftswissenschaftler an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Der Pflegemarkt sei für Private-Equity-Gesellschaften sehr attraktiv. "Pflegeheime sind eine risikoarme Anlage und gleichzeitig profitabel."
Ver.di kritisiert die Personalpolitik von Private-Equity-Gesellschaften. Die Beschäftigten in den Heimen würden oft nicht angemessen bezahlt. Hannah Brandt berichtet, dass in dem Heim in Bad Vilbel, in dem ihr Vater lebt, häufig das Personal wechsle. Ein großer Teil der Pflegekräfte komme von Leiharbeitsfirmen. "Besonders die Demenzkranken sind mit den häufigen neuen Gesichtern vollkommen überfordert", sagt Brandt.
Das Heim tritt den Vorwürfen entgegen. Das Wohl der Bewohner habe für das Unternehmen oberste Priorität, teilte der Betreiber dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Die Mitarbeiter seien engagiert, häufige Personalwechsel gebe es nicht. Besonders auf der Demenzstation würden nur im Notfall Zeitarbeitskräfte eingesetzt. Auch ein deutschlandweites strukturelles Problem gebe es in der Alloheim-Gruppe nicht, heißt es in einer Stellungnahme: "Nur in wenigen Einzelfällen haben Einrichtungen in der Vergangenheit unsere hohen Qualitätsansprüche vorübergehend nicht in allen Punkten erfüllt."
Das Pflegeheim der Alloheim-Senioren-Residenzen in Bad Vilbel ist Medienberichten zufolge kein Einzelfall: Die "Stuttgarter Zeitung" und das ZDF-Magazin "Frontal21" berichteten Anfang des Jahres von unwürdigen Zuständen in einem Heim in Ludwigsburg, das ebenfalls zur Alloheim-Gruppe gehörte. Die ARD-Sendung "plusminus" nannte verschiedene Fälle in Nordrhein-Westfalen und Norddeutschland.
Ver.di spricht von einem starken Renditendruck bei Private-Equity-Gesellschaften. Die Kapitalgeber erwarteten eine Mindestrendite, die sogenannte "Hurdle Rate". Zusätzlich würden die Manager am Weiterverkauf der Unternehmen beteiligt, wenn die "Hurdle Rate" erreicht wurde. Die Manager versuchten daher mit allen Mitteln, die Mindestrendite zu erreichen.
"Private-Equity-Gesellschaften gehen zwar manchmal ans legale Limit, überschreiten es aber nicht", sagt Experte Wahrenburg. "Wenn es aus Profitgründen zu Problemen in privat betriebenen Heimen kommt, muss der Staat eingreifen."
In Bad Vilbel gab es nach Treffen von rund 70 Angehörigen und der Heimleitung erste Verbesserungen, wie Brandt sagt. Sie zweifelt aber daran, dass diese nachhaltig sein werden. "Ich würde meinen Vater gerne in ein Heim eines gemeinnützigen Trägers bringen, aber die Wartelisten sind so lang."