sozial-Politik

Studie

3,4 Millionen junge Menschen in Deutschland armutsgefährdet




Lebt meist auf der Strasse: Sandra aus Herten. (Archivbild)
epd-bild/Miriam Bunjes
Fast jeder vierte Armutsgefährdete in Deutschland ist einer Studie zufolge jünger als 25 Jahre. In Deutschland sind mindestens 3,4 Millionen Kinder und Jugendliche von Armut betroffen, so eine neue Erhebung. Doch die Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.

Mit dieser Schätzung gehen die Fachleute weit über die offizielle Statistik hinaus. Die Angaben stammen aus dem am 16. November in Düsseldorf vorgestellten "Monitor Jugendarmut in Deutschland 2018" der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS). Die Autoren gehen aber von einer hohen Dunkelziffer aus: Zusätzlich seien eine Millionen junge Menschen von Armut betroffen, die die Statistik nicht erfasse.

Öffentlichkeit und Politik verschlössen beim Thema Jugendarmut ihre Augen vor einem Problem, das immer gravierender werde, heißt es in dem Bericht. Der stellvertretende Vorsitzende der Organisation, Stefan Ewers, erklärte: "Der Mythos 'Jugendarmut gibt es in Deutschland nicht' stimmt also nicht.

Viele Leistungen werden nicht genutzt

Nach seinen Angaben würden viele Leistungen nicht helfen, "aus der Armut herauszukommen oder werden gar nicht erst wahrgenommen, weil Informationen fehlen oder schlicht der Aufwand der Beantragung zu hoch ist." Hinzu komme, dass junge Menschen unter 25 Jahren nach dem Sozialgesetzbuch II besonders hart sanktioniert werden, zum Beispiel bei Meldeversäumnissen. Den von diesen Strafen Betroffenen fehlten dann jegliche finanzielle Mittel.

"Die aktuellen Zahlen belegen, dass es dringender denn je ist, die verschärfte Sanktionierung junger Menschen im Hartz-IV-Bezug endlich abzuschaffen", forderte Lisi Maier, die Vorsitzende der BAG KSJ. "Stattdessen sollten wir endlich auf die gezielte Förderung junger Menschen setzen." Gerechte Bildungs- und Ausbildungschancen zu schaffen gehöre ebenso dazu wie bedarfsgerechte Angebote der Unterstützung, Beratung und Förderung - etwa durch Schulsozialarbeit, die Jugendberufshilfe und das Jugendwohnen. Ziel seien passende Hilfen aus einer Hand.

Armut schon im Ansatz verhindern

Jugendarmut müsse möglichst schon im Ansatz zu verhindert werden. Dafür müssten jedoch seitens der Politik die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Die BAG KJS wirbt unter anderem dafür:

- die verschärften Sanktionen für Jugendliche im SGB II aufzuheben,

- die soziokulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen unabhängig vom Einkommen der Eltern fördern und sichern,

- junge Menschen im Rahmen der Jugendhilfe über das 18. Lebensjahr hinaus zu unterstützen und zu begleiten,

- das Recht auf Ausbildung gesetzlich zu verankern und im Rahmen einer verbindlichen Ausbildungsgarantie umsetzen und

- die Ausbildungsvergütungen so anzuheben, dass Ausbildung nicht in Armut endet.

Grundsicherung auch für Jugendliche

Die BAG KJS verwies darauf, dass es zurzeit zahlreiche Vorschläge gibt, die Familienförderung zu ändern oder eine Kindergrundsicherung zu schaffen. Zielmüsse einn Verfahren sein, das möglichst unbürokratisch das soziokulturelle Existenzminimum aller Kinder und Jugendlichen absichert. So schlägt zum Beispiel das Bündnis zur Kindergrundsicherung vor, orientiert am steuerlich anerkannten Existenzminimum allen Kindern und Jugendlichen eine Grundsicherung von 619 Euro zu gewährleisten. Dieser Betrag würde dann abhängig vom Einkommen der Eltern abgeschmolzen oder versteuert und bis auf minimal 300 Euro reduziert. Das ist die Summe, die Gutverdienende bereits steuerlich geltend machen können.

Diesen Schritt würde auch Ronald Lutz, Professor für Sozialwissenschaften in Erfurt, begrüßen. Er sprach sich für eine "eigenständige finanzielle Absicherung für junge Menschen aus, die über das Existenzminimum hinausgeht und auch die soziokulturelle Teilhabe sichert". Lutz zufolge müsse auch die Sozialarbeit ausgebaut werden. Sie müsse "nicht nur verlässliche Beziehungen und Unterstützung bieten, sondern auch Partizipation und Selbstermächtigung bedeuten. Jugendsozialarbeit muss politischer werden."

Jugendhilfe sollte inklusiv werden

Prälat Karl Jüsten vom Kommissariat Deutscher Bischöfe sagte, die Politik müsse "bestehende Hürden und Ungerechtigkeiten abbauen und junge Menschen umfassend unterstützen". Die Jugendhilfe sollte inklusiv ausgestaltet und die Situation von sogenannten Care Leavern verbessert werden.

"Deutschland hat heute die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der EU", sagte Oliver Wittke, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Trotz weiter sinkender Tendenz kämpfe die Regierung ungemindert dafür, Jugendliche in Ausbildung und Arbeit zu bringen, denn es gibt starke regionale Unterschiede. "Schließlich ist Arbeit das beste Mittel gegen Armut und sichert gesellschaftliche Teilhabe."

Im Monitor "Jugendarmut in Deutschland" stellt die BAG KJS alle zwei Jahre Daten und Fakten zur Situation benachteiligter junger Menschen zwischen 14 und 27 Jahren zusammen. Ziel des Monitors ist es, die Anliegen benachteiligter Jugendlicher stärker in den Fokus zu rücken. Als Quellensammlung liefert er fundierte Informationen, um den politisch-gesellschaftlichen Diskurs zu fördern und Jugendarmut wirksam zu bekämpfen.

Jana Hofmann, Dirk Baas