sozial-Branche

Gastbeitrag

Konfessionslose Beschäftigte tragen religiöse Prägung mit




Beate Hofmann
epd-bild/Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel
Wie wirkt sich die religiöse Pluralisierung unter Mitarbeitenden diakonischer Einrichtungen auf die Identität diakonischer Einrichtungen aus? Die Diakoniewissenschaftlerin Beate Hofmann skizziert die Ergebnisse ihrer dreijährigen Forschungsarbeit in epd sozial.

Welche Folgen hat die Anstellung nicht kirchlich gebundener Mitarbeitender, die durch die Änderung der Loyalitätsrichtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auch rechtlich abgesichert wurde, für Identität und Profil der Diakonie? Diesen Fragen geht das Forschungsprojekt "Merkmale diakonischer Unternehmenskultur in einer pluralen Gesellschaft" nach, dessen Ergebnisse nach dreijähriger Forschungstätigkeit am 27. September in Bethel vorgestellt wurden. Die zentrale Hypothese, die dem Projekt zugrunde liegt, besagt, dass durch eine diakonisch geprägte Unternehmenskultur auch bei einer wachsenden Divergenz persönlicher Glaubensüberzeugungen identitätsstiftende organisationale Selbstbeschreibungen mit diakonischem Charakter als Basis einer diakonischen Identität in diakonischen Organisationen entstehen und erhalten werden können.

Untersuchung in 33 diakonischen Einrichtungen

Um diese Annahme zu überprüfen, wurden in dem Projekt Merkmale der Unternehmenskultur diakonischer Einrichtungen aus Sicht der Mitarbeitenden erfragt. Zudem wurde untersucht, wie nicht kirchlich gebundene Mitarbeitende sich zu diesen Kulturmerkmalen verhalten. Die Untersuchung fand in 33 diakonischen Einrichtungen der stationären Alten- und Eingliederungshilfe in drei religiös unterschiedlich geprägten Regionen Deutschlands statt. Finanziert wurde sie durch die Förderung von 13 verschiedenen diakonischen und kirchlichen Trägern und Verbänden.

Das Projekt war unter meiner Leitung am Institut für Diakoniewissenschaft und DiakonieManagement der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel verortet und wurde in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Tim Hagemann von der Fachhochschule der Diakonie durchgeführt. Das komplexe Forschungsdesign umfasste zum einen Interviews mit Fokusgruppen und Einrichtungsleitenden, daraus entwickelte Fragebogenerhebungen und zum anderen Interviews mit nicht kirchlich gebundenen Mitarbeitenden. Auf der Basis der Erhebung wurden Kulturbeschreibungen für die beteiligten Einrichtungen entwickelt und übergreifende Fragen analysiert.

Als zentrales Ergebnis konnte die Ausgangshypothese bestätigt werden. Christliche wie nicht kirchlich gebundene Mitarbeitende in diakonischen Einrichtungen nehmen die religiöse Konturierung der Unternehmenskultur durch Andachten, Tischgebete, christliche Sterbe- und Trauerrituale, das Kirchenjahr und zentrale christliche Werthaltungen als profilrelevant für die Organisation wahr und tragen religiös konturierte Unternehmenskultur in den Einrichtungen mit. Dabei distanzieren sie sich teilweise gleichzeitig von dieser Kultur im Blick auf ihre eigene religiöse Praxis.

"Ich habe da kein Problem mit"

Exemplarisch wird diese Haltung in folgender Aussage deutlich: "Man macht hier eine Aussegnung und man respektiert das, das die einen Gottesdienst gucken wollen, mich interessiert das Null, aber ich respektiere das und ja, mache das dann natürlich auch so mit, ich bete auch das Vaterunser mit bei einer Aussegnung zum Beispiel und ich gehe auch in die Kirche, wenn da etwas ist, ich habe da [...] überhaupt kein Problem mit."

Während Gottesdienst und Gebet als persönlich weniger wichtig von den Mitarbeitenden bewertet werden, spielt die Abschiedskultur auch für sie persönlich eine wichtige Rolle. Zentraler Maßstab für die Plausibilität religiöser Praxis in den Einrichtungen ist die Religiosität der Bewohner*innen. Die Wahrnehmung der religiösen Bedürfnisse der Bewohner*innen wird von den Mitarbeitenden als selbstverständlich und auch als sehr hilfreich für sie beschrieben. In diesem Kriterium liegt allerdings auch Zündstoff für die Zukunft: Wenn die Bewohner*innen selbst zunehmend religiös plural oder religiös distanziert werden, verliert diese Plausibilisierung ihre Zugkraft.

Kein Raum für muslimische Religiosität

Interessante Unterschiede zeigen sich in der Haltung muslimischer im Vergleich zu konfessionslosen Mitarbeitenden. Muslimische Mitarbeitende betrachten die religiöse Praxis in den Einrichtungen positiv, betonen die "Normalität" dieser Praxis für sie persönlich und nehmen daran teil, soweit ihnen das möglich ist. Dabei zeigt sich ein deutliches Defizit in der Heranführung an christliche Kulturelemente. Meist wird durch Teilnahme und Nachahmung gelernt, an Fortbildungen oder Einführungstagen hat diese Personengruppe bisher fast nie teilgenommen. Auch ihre eigene Religiosität hat in den Einrichtungen bisher keinerlei Raum bekommen. Gebetszeiten werden zu Hause nachgeholt, an Feiertagen und im Ramadan wird möglichst Urlaub genommen.

Konfessionslose Mitarbeitende beurteilen die religiöse Praxis deutlich kritischer als die muslimischen Mitarbeitenden. Die Bereitschaft zur Beteiligung an Ritualen ist unterschiedlich. Während einige offen und vorbehaltlos teilnehmen, umgehen andere die Teilnahme. Zentrales Kriterium für alle ist, dass kein Zwang auf sie ausgeübt wird.

Das "Diakonische" ist aus Sicht der Mitarbeitenden keineswegs auf die religiöse Praxis beschränkt. Auf die Frage "Was macht diese Einrichtung diakonisch?" antworten sie neben dem Verweis auf explizit religiöse Artefakte mit Hinweisen auf den Umgang miteinander, die Haltungen im Umgang mit Bewohner*innen, z.B. die achtsame Wahrnehmung ihrer individuellen Wünsche und Bedürfnisse oder die Präsenz bestimmter Menschen (Diakonissen, Diakon*innen, Seelsorge, Pfarrer*innen).

Zentrale Figur für die Tragkraft des Diakonischen ist die Führungskraft, vor allem die Einrichtungsleitung. Wird sie als authentische Verkörperung des Diakonischen erlebt, fungiert sie als "Eingangstor" in eine diakonische Unternehmensinkulturation. Ist das nicht der Fall, wird die Kultur als unglaubwürdig beschrieben.

Welche Rollen spielen Träger und die Unternehmensleitung? Deutlich wird, dass ihr Einfluss in den Einrichtungen als begrenzt wahrgenommen wird. So lässt sich keine einrichtungsübergreifende "Trägerkultur" beschreiben. Die Einrichtungen innerhalb eines Trägers (es wurden mindestens zwei und maximal vier pro Träger untersucht) sind sehr unterschiedlich und zeigen "individuelle Charaktere". Träger werden über Bildungsangebote, über Wirtschaftlichkeitserwartungen, als verlässliche Arbeitgeber und als Institution, die Wert auf das Diakonische legt, skizziert. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen Einrichtungen, in denen es geklärte Konzepte diakonischer Identität gibt, und Einrichtungen, in denen zu diesem Punkt vor allem Sprach- und Hilflosigkeit herrschte.

In der Konsequenz sollten diakonische Träger ihr Verständnis von diakonischer Identität klären, die Relevanz dieses Konzeptes im Miteinander unterschiedlicher Rationalitäten im Unternehmen bestimmen und vor allem (unternehmens-)kultursensible Führungskräfte auswählen und unterstützen.

Die Arbeit des Projektes ist mit dem 30.9.2018 nicht beendet. Es werden wissenschaftliche Publikation vorbereitet und zwei Anschlussprojekte durchgeführt. Ein Projekt untersucht die Wahrnehmung von Nutzer*innen zu Unternehmenskultur in den beteiligten Einrichtungen, das andere Projekt untersucht die Unternehmenskultur von Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt im Vergleich zu diakonischen Einrichtungen.

Professor Dr. Beate Hofmann ist die Direktorin des Instituts für Diakoniewissenschaft und DiakonieManagement der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel.