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Experte: Trotz vieler Inobhutnahmen keine Kinderschutzdebatte



Der Schutz von Kindern durch Inobhutnahmen des Jugendamtes gewinnt nach Ansicht des Jugendhilfe-Experten Thomas Mühlmann wieder an Bedeutung. Überraschend sei dabei, dass "diesmal – anders als im Zeitraum von 2006 bis 2012, in dem es deutliche Steigerungen der Inobhutnahmen gab – keine Kinderschutzdebatte geführt werde", sagte der Dortmunder Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Zahl der Inobhutnahmen liegt nach Angaben des Statistischen Bundesamts mit 61.300 Fällen weiter auf hohem Niveau.

Rechnerisch bedeute die Zahl, dass jedes der 574 Jugendämter in Deutschland durchschnittlich einmal pro Woche ein Kind oder einen Jugendlichen aufgrund einer Gefährdung in Obhut nehmen musste, sagte der Dortmunder Wissenschaftler. In weniger als drei Viertel der Fälle hielt sich das Kind oder der Jugendliche zuvor bei seinen Eltern auf, in den restlichen Fällen lebte es in betreuten Wohnformen oder anderen Orten. Bei den Zahlen seien unbegleitet minderjährige Flüchtlinge ausgenommen.

Mühlmann betonte allerdings auch, Inobhutnahmen seien noch immer nur ein kleiner Teil der staatlichen Schutzmaßnahmen. Nur rund 0,3 Prozent aller Kinder waren 2016 davon betroffen. Die Gesamtzahl der Inobhutnahmen weise zwar auf das Ausmaß der Fälle hin, in denen Jugendämter diese vorläufigen Maßnahmen ergreifen, die Gründe dafür könnten allerdings sehr unterschiedlich sein.

Die erneut gestiegenen Zahlen könnten auf eine wachsende Sensibilität für notwendige Schutzmaßnahmen hindeuten, sagte Mühlmann. Eine Inobhutnahme könne aber auch bedeuten, dass andere Teile des Schutzsystems vorher nicht ausreichend wirksam waren.

"In vielen Fällen erfolgt anschließend eine Rückführung in die Familie", sagt Mühlmann. So kehrten 41 Prozent der in Obhut genommenen Kinder (ohne unbegleitete ausländische Minderjährige) wieder zu den Sorgeberechtigten zurück. Nur ein Teil der Maßnahmen stelle deshalb einen Eingriff in die familiäre erzieherische Autonomie dar. Bei der Diskussion über die Verhältnismäßigkeit des Handelns der Jugendämter sei das zu beachten. Inobhutnahmen seien zudem nur ein kleiner Teil des Kinder- und Jugendhilfesystems.