Ausgabe 8/2013 - 23.02.2018
München (epd). Mike Gallen (62) ist Pastoralreferent und seit gut zwei Jahrzehnten als Arbeitslosenseelsorger im Münchner Westend tätig. Er sagt: "Ja, ich finde schon, dass Hartz IV noch ein Thema ist." Zumindest an jedem Mittwoch. Dann kommt die von Gallen betreute Arbeitslosengruppe in dem Treffpunkt an der Gollierstraße 61 des Pfarrverbandes München-Westend zusammen.
Die Tische stehen in Hufeisenform, es ist 10 Uhr und es gibt Frühstück: Kaffee und Tee, kleine Wurst- und Käseplatten, Brötchen. Rund 30 Leute haben sich heute hier versammelt.
Nach dem Frühstück folgt der Programmpunkt "Tipps und Tricks". Dabei geht es ganz konkret um Hilfestellungen für das Leben unter Hartz-IV-Bedingungen. Also für Menschen, die in die Langzeitarbeitslosigkeit gerutscht sind und jetzt mit 416 Euro im Monat auskommen müssen, Miete und Heizung werden vom Jobcenter bezahlt. "Tipps und Tricks", da geht es dann etwa um den Münchner Gesundheitsladen, wo man sich Zähne ohne Zuzahlung richten lassen könne. Oder um Aushilfsjobs und Beratungsangebote.
Gallen hat sein Büro im Hof von St. Benedikt an der Schrenkstraße, gleich um die Ecke liegt die Augustiner-Brauerei. Wenn der gebürtige Neuseeländer sich um die Menschen in seiner Gruppe kümmert, dann geht es in den Gesprächen auch um zwei scheinbar widersprüchliche Entwicklungen. Da ist zum einen die Tatsache, dass die Wirtschaft brummt und die Bundesagentur für Arbeit von einem sehr guten Trend auf dem Arbeitsmarkt spricht. Zum anderen leben bundesweit rund acht Millionen Menschen an der Grenze zum Existenzminimum. Sechs Millionen davon sind Menschen in Hartz IV.
Seit 2006, als der erste Pressebericht über ihn erschien, hat Gallen in den Medien eine kleine Karriere hingelegt: Weil er damals in Deutschland der einzige amtlich bestellte Arbeitslosenseelsorger war. Die Erzdiözese München und Freising stellte ihn in der Überzeugung ein, dass Menschen in einer derartigen Situation nicht nur materielle Unterstützung, sondern auch Zuspruch und Trost brauchen.
Gallen kennt die Schicksale hinter der Statistik. Die Menschen, die nicht fit genug für den "Zack-Zack-Arbeitsmarkt" sind, wie er es nennt. An denen die Vollbeschäftigung vorbeigeht. "Viele sind über 50", sagt er, "und wenn sie in einer Krise stecken, können sie nicht mehr mithalten." Krise, das kann vieles sein: Krankheit, Scheidung, Überschuldung. Und die Firmen, so seine Erfahrung, würden einen nicht mehr wie früher mittragen. Die andere große Gruppe, die prekär lebt, ist die der alleinerziehenden Mütter.
Manche in der Arbeitslosengruppe sind schon einige Jahre hier, andere sind neu. "Bei uns ist es wie in der Statistik", sagt Gallen, "die Hälfte der Hartz-IV-Bezieher ist schon mehr als vier Jahre dabei." Da ist der 60 Jahre alte Gerd, der früher auf einem Postzug gearbeitet hat. Heute versucht er sich ein paar Euro zu verdienen, wenn in einer Firma die Inventur ansteht. Oder die 47-jährige gelernte Übersetzerin Magdalena, die mehr als ein Jahr lang einen neuen Job suchte. Dann ging sie zurück nach Hessen zu ihrer Mutter.
Fast 270.000 Menschen gelten in München als arm, hier in St. Benedikt erhalten die Zahlen ein Gesicht. Neben der Seelsorge geht es in dem Arbeitslosentreff aber auch um Aktivierung – in eigener Sache. Viele der Arbeitslosen sind ehrenamtlich tätig. Regelmäßig trifft sich eine Theatergruppe, die mit gesellschaftskritischen Botschaften in der Öffentlichkeit auftritt. Die dahinterstehende Parole hat Gallen schon vor ein paar Jahren ausgerufen: "Nicht nur deprimiert rumlaufen!"