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Diakonie-Chef: Mehr für gleichwertige Lebensbedingungen tun




Ulrich Lilie
epd-bild/Norbert Neetz
Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, hat vor wachsenden sozialen Unterschieden in der Bundesrepublik gewarnt. Bei der Konferenz Diakonie und Entwicklung forderte Lilie am 11. Oktober in Nürnberg von der zukünftigen Bundesregierung, die laut Grundgesetz gleichwertigen Lebensbedingungen besser in den Blick zu nehmen. Auch zur Flüchtlingspolitik nahmen die Delegierten Stellung. Und sie verabschiedeten eine Empfehlung zur Unternehmensmitbestimmung.

Auch die EU müsse mehr gegen Armut und Ausgrenzung tun, sagte der Ulrich Lilie. Er wies darauf hin, dass bis zum Jahr 2020 60 Prozent der Landkreise in Deutschland mit Bevölkerungsschwund rechnen müssten. Während in Bayern und Baden-Württemberg viele junge Menschen lebten, müssten dann Bundesländer wie Sachsen-Anhalt oder Thüringen mit dem demografischen Wandel fertig werden. Im reichen Düsseldorf würden beitragsfreie Kindergärten angeboten, Kinderbetreuungseinrichtungen in Wuppertal dagegen müssten schließen, beschrieb er beispielhaft ungleiche Bedingungen im Land.

Lilie forderte aber auch von der Europäischen Union, sich stärker für Armutsbekämpfung einzusetzen. Die EU habe nur dann eine Zukunft, wenn soziale und wirtschaftliche Belange das gleiche Gewicht hätten, sagte er. EU-weit seien derzeit 119 Millionen Menschen von Armut bedroht.

"Familiennachzug wieder ermöglichen"

Am zweiten Konferenztag stand auch die Flüchtlingspolitik auf der Tagesordnung. Die Delegierten forderten von der künftigen Bundesregierung, Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz den Familiennachzug wieder zu ermöglichen. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte, besonders für junge männliche Flüchtlinge sei eine bessere Integration möglich, wenn ihre Familien nachkommen dürften.

Zudem appellierte Lilie, in Zukunft die Arbeit der Ministerien für die Entwicklungsziele der Agenda 2030 besser zu verzahnen. Entwicklungspolitik gehe nicht nur das Entwicklungshilfe- und das Umweltressorts an, sondern auch das Landwirtschafts- und das Wirtschaftministerien, sagte der Präsident. Er kritisierte in diesem Zusammenhang auch, dass zum Beispiel weiter Waffen nach Saudi-Arabien geliefert würden. Damit werden laut Lilie Fluchtursachen geschaffen an statt sie zu bekämpfen.

Bammessel geht CSU an

Der bayerische Diakoniepräsident Michael Bammessel forderte die CSU auf, soziale Errungenschaften für Flüchtlinge in Bayern "nicht wieder preiszugeben". Er kritisierte den Plan, Aufnahme- und Rückführungszentren für Flüchtlinge zu schaffen. Die Politik versuche, sich hart zu geben in der Hoffnung, Flüchtlinge würden wieder gehen. "Aber das wird nicht funktionieren", sagte Bammessel.

Er plädierte für ein Ende der Diskussion über eine Obergrenze für Flüchtlinge. Vielmehr sollten "wir sagen, dass wir in einer veränderten Welt leben, zu der Migration gehört".

Mehr Spenden für "Brot für die Welt"

Von einer Steigerung der Spendeneinnahmen für "Brot für die Welt" in diesem Jahr berichtete die Präsidentin des Hilfswerks, Cornelia Füllkrug-Weitzel. Bis zum 30. September 2017 seien 43,5 Millionen Euro eingegangen. Dies seien 6,4 Prozent mehr als in den ersten neun Monaten des Vorjahrs.

Füllkrug-Weitzel betonte die Notwendigkeit eines europäisch abgestimmten Einwanderungsgesetzes. Eine solche einheitliche Rechtsgrundlage könne verhindern, dass sich Armutsflüchtlinge auf einen lebensgefährlichen Weg machten oder sich an Schlepper verkauften. Einwanderungskonditionen wären dann verlässlich und transparent. Füllkrug-Weitzel sagte, so könne man etwa den Menschenhandel mit nigerianischen Frauen eindämmen, die von Schleppern nach Deutschland gebracht und hier als Prostituierte ausgebeutet würden.

Die Konferenz verabschiedete eine Verbandsempfehlung zur Unternehmensmitbestimmung. Damit wolle man die unternehmerische Mitbestimmung der Beschäftigten stärken, erklärte der evangelische Wohlfahrtsverband. Das Papier sieht vor, dass diakonische Einrichtungen ab einer Größe von 500 Mitarbeitenden diese durch eine Vertretung im Aufsichtsorgan an der Arbeit dieses Gremiums beteiligen - mit gleichen Rechten und Pflichten wie andere Aufsichtsratsmitglieder.

Die Mitarbeitenden an der Führung der Einrichtungen zu beteiligen, "ist gerade für die Diakonie vor dem Hintergrund unseres kooperativen und konsensorientierten Leitbildes naheliegend", sagte Vorstandsmitglied Jörg Kruttschnitt von der Diakonie Deutschland: "Die Unternehmensmitbestimmung fördert letztlich die Wirtschaftlichkeit und verantwortungsvolle Führung unserer Mitgliedseinrichtungen", betonte Kruttschnitt.

"Diakonie gehört zu ausstrahlungsstarker Kirche"

Im Gottesdienst zur Eröffnung der Konferenz hatte der bayerische evangelische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, in seiner Predigt unterstrichen, dass der Einsatz für die Armen in der Gesellschaft eine Kernaufgabe der Kirche sei. Das evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung müsse in den Überlegungen "für eine profilierte und ausstrahlungsstarke Kirche" dazugehören.

Reichtum und Armut seien zu Zeiten von Jesus genauso wie in der Gegenwart "eine Geschichte von Macht und Ohnmacht", sagte Bedford-Strohm. Wer arm sei, erfahre die Ohnmacht, nicht das Nötige zum alltäglichen Leben zu haben, ungerechte Arbeitsbedingungen und den Ausschluss aus der Gesellschaft.

Medien zeigten selten die aussagekräftigsten Bilder zu Armut, "weil sie nicht so spektakulär sind". Als Beispiel nannte der Bischof die Armut von Kindern, die nicht mit ihren Freunden ins Kino gehen können, weil die Eltern kein Geld haben. Bedford-Strohm mahnte, "innere und äußere Bilder über Armut" immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls neu auszurichten.

Diakonie setzt auf Hilfe zur Selbsthilfe

Auch die Sichtweise von Diakonie und "Brot für die Welt" habe sich verändert. "Wir sehen nicht mehr nur Opfer, um die man sich kümmern muss", sagte Bedford-Strohm. Heute sehe der Wohlfahrtsverband Menschen, "die befähigt werden, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen".

Jutta Olschewski

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