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Migration

Union will Zuwanderung durch neue Regeln bremsen




Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Berlin. (Archivbild)
epd-bild/Rolf Zöllner
CDU und CSU haben sich auf ein gemeinsames Regelwerk zur Migration geeinigt. Darin vermeiden sie den Begriff "Obergrenze". Das Ziel sei, die Zuwanderung zu bremsen. Kritik kam von Sozialverbänden.

Man setze damit die Anstrengungen fort, die Zahl der nach Deutschland und nach Europa flüchtenden Menschen nachhaltig und auf Dauer zu reduzieren, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 9. Oktober in Berlin. Damit solle sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband ging umgehend auf Distanz, ebenso die Caritas.

Im Kern soll die Zahl der in Deutschland aufzunehmenden Menschen die Grenze von 200.000 nicht überschreiten. Zugleich soll das Grundrecht auf Asyl und damit auch die Anforderung, dass jeder Antrag bearbeitet werden muss, gewährleistet werden. Nach den Worten Merkels werde auch der 200.001. Antragsteller ein "ordentliches Verfahren" bekommen. Muss das gesetzte Ziel nach oben oder unten korrigiert werden, sollen die Bundesregierung und der Bundestag Anpassungen beschließen.

Warten in "Entscheidungszentren"

Zudem sollen künftig die Asylverfahren für alle Neuankommenden in Entscheidungs- und Rückführungszentren erfolgen. In Zusammenhang mit den Staaten des westlichen Balkans habe man hierzu gute Erfahrungen gemacht, sagte Merkel. Um die Migration in den Arbeitsmarkt zu steuern, ist ein Fachkräftezuwanderungsgesetz geplant.

Unterstützung für den Kurs kommt von der EU-Kommission. "Die Kommission sieht es als extrem positiv an, dass ein Land, das bereits über eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat, die Bereitschaft zeigt, weitere 200.000 Personen pro Jahr willkommen zu heißen», sagte der Chefsprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, in Brüssel. "Die Kommission und ihr Präsident haben verschiedentlich betont, wie sehr wir die Führungsrolle begrüßen, die Deutschland beim Umgang mit der Flüchtlingskrise gespielt hat."

Der Kompromiss sei eine "sehr, sehr gute Basis" um in Sondierungen mit FDP und Grüne zu gehen, sagte Merkel. Die Gespräche für eine mögliche Jamaika-Koalition sollen am 18. Oktober beginnen. Der CDU-Vorsitzenden zufolge soll es zunächst Einzelgespräche mit FDP und Grünen geben. Am 20. Oktober folgt dann ein gemeinsames Treffen.

Pro Asyl sieht "menschenrechtswidrige" Lösung

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl appellierte an Grüne und FDP, dem schärferen Kurs der Union in der Asylpolitik entgegenzutreten. "Das ist ein menschenunwürdiges Geschachere bei dem gesichtswahrend auf Kosten der Schutzbedürftigen eine menschenrechtswidrige Lösung der Öffentlichkeit präsentiert wird", sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Offenbar wolle die Union auch Hand anlegen an den Zugang zum individuellen Asylrecht an Europas Grenzen.

Der Kompromiss sei eine "sehr, sehr gute Basis" um in Sondierungen mit FDP und Grüne zu gehen, sagte dagegen die CDU-Vorsitzende. Die Gespräche für eine mögliche Jamaika-Koalition sollen am 18. Oktober beginnen. Merkel zufolge soll es zunächst Einzelgespräche mit FDP und Grünen geben. Am Freitag, 20. Oktober, soll dann ein gemeinsames Treffen folgen.

Als Obergrenze auf Kosten von Familien kritisierte der Paritätische Wohlfahrtsverband den gefundenen Kompromiss. Faktisch werde eine Obergrenze von 200.000 Menschen definiert. Durch die geplante Begrenzung des Familiennachzugs seien dabei in erster Linie Familienangehörige von Schutzberechtigten von Verschärfungen betroffen, beklagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.

Verband lehnt "Kasernierung in Lagern" ab

"Vorschläge wie die Verhinderung des Familiennachzugs oder die dauerhafte Kasernierung in Aufnahmelagern sind mit den Menschenrechten kaum vereinbar und schlicht inhuman", sagte Schneider. Auch die Absicht, durch weitere Abkommen nach dem Vorbild des umstrittenen EU-Türkei-Deals den Flüchtlingsschutz dauerhaft vor Europas Grenzen auszulagern und sich so aus der Verantwortung freizukaufen, sei perfide.

Der Verband appellierte an die politische und moralische Verantwortung der Politik: "Wir fordern alle demokratischen Parteien auf, sich deutlich von AFD und anderen Rechtspopulisten abzugrenzen und auch und gerade in der Asylpolitik den Menschenrechten zur Durchsetzung zu verhelfen. Humanität hatte in der Bundesrepublik noch nie eine Obergrenze und darf eine solche auch nie haben", forderte Schneider.

Caritas pocht auf Familienzusammenführung

Die Caritas im Bistum Hildesheim kritisierte die geplanten Verschärfungen des Asylrechts in Deutschland und Europa. „Der Schutz des Asyls ruht auf starken Pfeilern: Grundgesetz, Genfer Flüchtlingskonvention, Europäischer Menschenrechtskonvention und Europarecht. Sie verpflichten Deutschland wie auch andere Staaten dazu, Menschen bei entsprechenden Voraussetzungen Asyl, Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz zu gewähren“, sagte Direktor Achim Eng: "Für Menschenrechte gibt es keinen Maximalpegel. Die Möglichkeit, in Deutschland Schutz zu suchen, muss jedem Menschen gegeben sein. Der Zugang zu unserem Asylrecht ist daher nicht verhandelbar."

Auch das Recht, als Familie zusammen zu leben, lasse sich mit einer sogenannten Obergrenze nicht vereinbaren, betonte Eng. Und: Das Grundgesetz gelte nicht nur für Deutsche, sondern auch für Flüchtlingsfamilien. "Geflüchtete müssen die Möglichkeit haben, ihre Familien aus Kriegs- und Krisengebieten nachzuholen, unabhängig davon, ob eine bestimmte Zahl an Flüchtlingen bereits ins Land gekommen ist", so Eng.

Grüne und FDP sehen Probleme

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter kündigte harte Gespräche an. "Wir stehen für eine humanitäre Flüchtlingspolitik. Im Wahlkampf haben wir besonders für Familiennachzug und legale Fluchtwege gekämpft", sagte Hofreiter am 10. Oktober. Beides seien zentrale Elemente einer humanitären, geordneten Flüchtlingspolitik. "Merkel wollte eine Quadratur des Kreises, herausgekommen ist ein Dreieck, ein Formelkompromiss", sagte Hofreiter.

Auch der FDP-Innenpolitiker Burkhard Hirsch kritisierte den Kompromiss. "Eine Obergrenze für Bürgerkriegsflüchtlinge festzulegen ist Quatsch", sagte Hirsch. Das Asylrecht bleibe unantastbar. Zudem warnte er vor überzogenen Erwartungen und Fehlern bei einem Zuwanderungsgesetz. "Wenn Deutschland als ökonomischer Staubsauger anderen Ländern dringend benötigte Fachkräfte wegnimmt, schaffen wir perspektivisch neue Flüchtlingsströme."

Dirk Baas, Tanja Tricarico

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