sozial-Branche

Behinderung

Dialog-Museum startet zwölfte Reise in ein unsichtbares Land




Reise in ein unsichtbares Land: im Frankfurter Dialog-Museum.
epd-bild/Thomas Rohnke
Bei "Blinder Passagier" reisen die Besucher des Frankfurter Dialogmuseums durch ein fremdes Land. In absoluter Dunkelheit sammeln sie landestypische Eindrücke durch Hören, Tasten, Riechen und Schmecken - und versuchen anschließend herauszufinden, wo sie waren.

Am Eingang des Parcours drückt der Geschäftsführer des Dialog-Museums Matthias Schäfer jedem Reisenden einen Blindenstock in die Hand. Der 50-jährige Dieburger, der nur noch rund zwei Prozent Sehvermögen hat, muss zum Start des Sommerprogramms als "Guide" aushelfen. Nach dem Kennenlernen geht es ab in den dunklen Bauch des Museums. Schäfer geht voran, seine sonore Stimme dient gleichsam als Wegweiser.

Zunächst lässt er die Besucher einen Baumstamm mit glatter Rinde ertasten. Dann lotst er sie zu einem plätschernden Brunnen, wo er ihre Hände benetzt, und gibt dezente Hinweise auf eine Tierstatue. Über einige Stufen führt die Tour in einen Raum, in dem gepolsterte Bänke zum Ausruhen zeugen. Nach wenigen Minuten beginnt ein etwa zehnminütiger Trommelwirbel, der zum Fingerschnipsen und zum Tanzen animiert und im Kopf reihenweise Bilder von strahlenden Menschen in farbenfrohen Kleidern produziert. Zudem lassen die in die Bänke eingebauten Lautsprecher den Körper regelrecht vibrieren.

Blumen und Früchte duften

Von dem Klangraum aus folgen die Besucher dem Reiseführer in einen Raum mit duftendem Tee und auf einen Markt in einer großen Stadt, wovon das Stimmengewirr und der Verkehrslärm zeugen. Sie gehen vorbei an Ständen mit würzigen Kräutern, duftenden Blumen und merkwürdig geformten Früchten in eine Ein-Personen-Wohnwabe mit Bett und Personalcomputer. Die Tour endet nach etwa einer Stunde in der "DunkelBar", wo zum Abschied ein landestypisches Getränk wartet.

"'Blinder Passagier' ist eine einstündige oder anderthalbstündige imaginäre Reise in ein bestimmtes Land und natürlich immer zu sich selbst", sagt die Geschäftsführerin Klara Kletzka. "Mit etwas Glück können die Besucher am Ende bei einer Verlosung tätsächlich den Koffer packen und eine wirkliche Reise antreten."

Das Sommerprogramm des integrativen Museums ist ein Renner. Es wurde 2006, ein halbes Jahr nach der Eröffnung, mit rund 2.000 Gästen gestartet und führte in die Türkei. Den Höhepunkt erlebte das Programm 2011. Damals reisten immerhin 7.400 blinde Passagiere nach Australien. In den vergangenen beiden Jahren entschieden sich jeweils 5.600 Personen für die Reiseziele Kuba und Schottland.

"Einnahmen werden dringend gebraucht"

"Wir brauchen die Einnahmen aus diesem Programm dringend", sagt Co-Geschäftsführer Schäfer. Das Dialog-Museum sei ein privat geführtes soziales Unternehmen, das 80 Prozent seiner Einnahmen aus dem Ticketverkauf, aus Workshops und Events erwirtschafte. 2016 seien rund 1,3 Millionen Euro umgesetzt worden, die Stadt Frankfurt habe lediglich 100.000 Euro dazugegeben.

Die Finanzsituation werde sich auch künftig kaum verbessern, fürchtet Schäfer. Schuld sei der hohe Mietpreis am Standort des Museums an der Hanauer Landstraße unweit der Europäischen Zentralbank. 17,50 Euro Warmmiete pro Quadratmeter zahle die Dialog-GmbH derzeit, das Schwesterunternehmen in der Hamburger Speicherstadt nur die Hälfte. Deshalb wolle das Frankfurter Unternehmen den Vertrag so bald wie möglich kündigen und 2019 an einen neuen Standort umziehen.

Von den 43 Beschäftigten in Frankfurt seien 14 blind oder stark sehbehindert, berichtet Schäfer stolz. Sie gehörten zum festen Team und führten die Besucher in acht verschiedenen Sprachen durch die ständige Ausstellung und das Sommerprogramm. Leider stünden immer weniger blinde und sehbehinderte Menschen als "Guides" zur Verfügung. Dafür gebe es allerdings eine erfreuliche Erklärung, nämlich die gute Situation auf dem Arbeitsmarkt.

Dieter Schneberger

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