sozial-Politik

Wohnen

150 Flüchtlinge und 72 Studenten gemeinsam unter einem Dach




Amal Alswedan in einer Küche des "Wohnprojekts Längenloh"
epd-bild / Winfried Rothermel
Studenten leben mit Flüchtlingen in einem Wohnheim zusammen. Die Stadt Freiburg nennt das eine "Win-win-Situation". Doch noch in diesem Jahr müssen die Studenten wieder ausziehen, denn die Flüchtlinge haben rechtlichen Anspruch auf mehr Platz.

Seit Januar 2016 lebt Amal Alswedan in Freiburg, die ersten Monate waren schwer: Zusammen mit mehreren Hundert anderen Geflüchteten war die heute 31 Jahre alte Frau aus Syrien in einer Turnhalle untergebracht, sie hatte kaum Platz für sich und das Baby in ihrem Bauch. Jede Unterhaltung der Nachbarn bekam sie mit, vom Essen wurde ihr schlecht. "Hier ist das anders. Jeder hilft mir. Wenn ich einen Brief bekomme, den ich nicht verstehe, kann ich einfach zu den Studenten gehen, die übersetzen ihn mir. Und die Mutter-Kind-Sprachkurse, die sie geben, helfen mir auch sehr", sagt sie.

Vieles ist spontan und improvisiert

Wie viele Geflüchtete in Deutschland lebt auch Amal Alswedan in einem Heim. Das Freiburger "Wohnprojekt Längenloh" unterscheidet sich von anderen dadurch, dass hier auch Studenten leben: 150 Flüchtlinge und 72 Studenten sind in der Anlage untergebracht. Sie sind zwar immer noch ein bisschen getrennt, denn in einem einzelnen Wohnblock wohnt entweder nur die eine Gruppe oder die andere. Und doch gibt es hier ein Miteinander von Menschen, die sich unter anderen Umständen vielleicht niemals begegnen würden.

Vieles ist spontan und improvisiert in Längenloh – vielleicht auch, weil es das Heim selbst ist: "Als 2015 eine große Zahl von Flüchtlingen gekommen sind, mussten wir ja schnell viel Wohnraum schaffen. Irgendwann hat sich aber abgezeichnet, dass es weniger Menschen werden. Wir mussten also neu planen", sagt Gudrun Fehrenbach vom städtischen Amt für Integration und Migration. Gleichzeitig habe das Studierendenwerk der Stadt auf seine Probleme verwiesen, alle Studenten in Freiburg unterzubringen. "Es handelt sich also um eine pragmatische Entscheidung, Studenten und Flüchtlinge in einer Wohnanlage zusammenzubringen. Nun haben wir eine Win-win-Situation."

Vieles in der Heim-Organisation unterscheidet sich nicht sehr von der in anderen Häusern: Es gibt für Flüchtlinge einen Sozialdienst und einen ehrenamtlichen Helferkreis. Anders ist aber, dass auch die Studenten eingespannt werden: 25 sind für das Leben in Längenloh ausgewählt worden, weil sie sich ehrenamtlich engagieren, etwa in der Kinder- oder Hausaufgabenbetreuung oder in Workshops. Diejenigen, die das nicht machen, leben aber keineswegs an den Geflüchteten vorbei.

Studentenfest mit Geflüchteten

Einer von ihnen ist der 18 Jahre alte Max Seux, der im zweiten Semester Medizin studiert und seit einem halben Jahr in Längenloh lebt. "Das war am Anfang so, dass nur die ehrenamtlich arbeitenden Studenten Kontakt zu den Flüchtlingen haben. Inzwischen hat sich das aber deutlich verändert." Wann immer es in der Anlage beispielsweise ein Studentenfest gebe, seien auch Geflüchtete dabei. "So wie man das unter Nachbarn eben macht."

In einem der Häuser gebe es zudem einen offenen Raum, dort begegne man sich ohnehin ständig. Aber die Gemeinsamkeit entstehe nicht nur zufällig: "Demnächst startet ein Gärtnerprojekt. Ich habe vor, dort mitzumachen."

So unkompliziert das Leben in Längenloh ist, bald ist es schon wieder vorbei damit - jedenfalls für die Studenten. Der Grund dafür ist profan: Normalerweise steht einem Geflüchteten in Deutschland eine Wohnfläche von sieben Quadratmetern zu. Auf dem Höhepunkt des großen Flüchtlingszuzugs war diese Regelung allerdings außer Kraft gesetzt. Ab dem kommenden Jahr gilt sie aber wieder, und deswegen müssen in Längenloh Studenten Flüchtlingen Platz machen. Es muss also muss umgebaut werden, und die Studenten müssen zum Semesterende das Heim verlassen.

Allerdings habe sich das Konzept so gut bewährt, dass die Stadt versuchen werde, es erneut umzusetzen, sagt Gudrun Fehrenbach vom Amt für Integration und Migration. "Wenn unterschiedliche Personen an einem Ort leben und voneinander profitieren – da kann doch jede Kommune etwas von lernen", findet die städtische Angestellte.

Sebastian Stoll

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