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Auf brutale Art ausgebeutet




Alina Iordan und Norbert Zirnsak kämpfen für die Rechte der Rumänen.
epd-bild/Pat Christ
Auf die erste Freude, endlich einen Job zu haben, folgt blitzschnell die Ernüchterung: Menschen aus Osteuropa, die zum Arbeiten nach Deutschland vermittelt wurden, schuften im reichen Europa oft unter menschenunwürdigen Bedingungen. Alina Iordan kämpft in Unterfranken für die Rechte ihrer rumänischen Landsleute.

Alina Iordan aus Würzburg hat es vor drei Jahren als Beschäftigte in einer Brotfabrik selbst erlebt. Mitten in Europa, im reichen Deutschland, werden Wanderarbeiter aus osteuropäischen Ländern ausgebeutet. Ganz bewusst. Die junge Rumänin wehrte sich - und wurde gekündigt. Die heute 37-Jährige setzt sich seitdem über die "aktion ./. arbeitsunrecht" für Wanderarbeiter ein. Über soziale Netzwerke kommt sie in Kontakt mit Landsleuten, die massive Probleme mit ihrem Arbeitgeber haben.

Die Menschen erwarteten keine idealen Arbeitsbedingungen, sagt die gelernte Schuhmacherin, die vor sechseinhalb Jahren mit ihren drei Kindern nach Deutschland zog: "Sie lassen sich unglaublich viel gefallen." Doch spätestens dann, wenn der ohnehin meist gedrückte Lohn nicht aufs Konto fließt, ist Schluss. Dann versuchen die Betroffenen, sich Hilfe zu organisieren. So fand Anfang 2017 ein rumänischer Paketzulieferer zu Alina Iordan. Drei Wochen lang hatte er im Landkreis Haßberge bei einem Subunternehmer in der Logistik-Branche gearbeitet, dann war er auf spiegelglatter Straße ausgerutscht.

Arbeitsvertrag mit Fallen

Der Mann verletzte sich empfindlich und musste in die Klinik: "Zu diesem Zeitpunkt hatte er jedoch noch immer keinen Arbeitsvertrag." Iordan sorgte dafür, dass er den Vertrag bekam. Der Rumäne unterschrieb ihn quasi blind - nebst Zusatzvereinbarung. Die allerdings wartete mit zahlreichen Schikanen auf. Alina Iordan zieht das unterschriebene Papier hervor, auf dem etliche Vertragsstrafen aufgelistet sind. Zusteller, die dabei erwischt werden, wie sie ein Paket werfen, müssen der Zusatzvereinbarung zufolge 50 Euro berappen. Dieselbe Strafsumme fällt an, wird in der Vorhalle geraucht. Gelingt es nicht, ein Paket vor 17 Uhr zuzustellen, sind es satte 150 Euro.

"Ich war geschockt, als ich das las", erklärt Iordan. Zwei Tage nachdem der Rumäne den Vertrag unterschrieben hatte, wurde ihm gekündigt. Er war noch in der Probezeit, von daher war dies rechtens. "Doch er hatte bis zum Schluss keinen Lohn erhalten." Um die 1.300 Euro stehen aus. Iordan rief bei dem Unternehmen an: "Bis zum Chef durchzudringen, war unmöglich." Daraufhin erhob sie Klage vor dem Arbeitsgericht. In vielen anderen Fällen genügt es Iordan zufolge, mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, der Polizei oder dem Gericht zu drohen.

DGB: Wanderarbeiter wichtige Klientel

Für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) wird das Thema "Wanderarbeiter" immer wichtiger, sagt Norbert Zirnsack vom DGB-Würzburg. Deshalb brachte die Vereinigung im September 2011 die Aktion "Faire Mobilität - Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv" auf den Weg. Seither wenden sich etliche Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa an den Gewerkschaftsbund. Die einen bekommen einen empörend niedrigen, die anderen gar keinen Lohn, wieder andere müssen unbezahlt Überstunden leisten oder in miesen Unterkünfte zu überhöhten Mieten wohnen: "Das ist modernes Sklaventum", meint Zirnsack.

Ähnlich sieht das Simone Slezak, evangelische Leiterin der ökumenischen Bahnhofsmission in München: "Unsere Kollegen hören mehrmals täglich von osteuropäischen Klienten, dass sie von ausbeuterischen Arbeitsbedingungen betroffen sind." Die Not der Menschen, die nach München kommen, sei derart groß, dass die Wanderarbeiter vieles in Kauf nähmen, um Arbeit zu bekommen: "Und jene, die kommen, wollen in der Regel arbeiten." Auf dem regulären Arbeitsmarkt finden sie laut Slezak häufig keinen Job, da sie keine Wohnung vorweisen können: "Und sie erhalten keine Wohnung, da sie keinen Arbeitsvertrag haben.

Zoll hat zu wenig Personal

Eigentlich wäre es Aufgabe der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS), unseriöse Arbeitgeber aufzuspüren und Verdachtsfällen nachzugehen, erklärt Norbert Zirnsak: "Doch es gibt zu wenige Mitarbeiter und deshalb viel zu wenige Kontrollen." Obwohl die Problematik steigt, würden die Kontrollen sogar sinken. Eine Statistik der Bundesregierung bestätigt das. Demnach wurden 2015 noch knapp 43.640 Arbeitgeber kontrolliert. 2016 waren es nur noch 40.375. Laut Alwin Bogan, Pressesprecher des Zollfahndungsdienstes, soll sich die Situation jedoch in den kommenden Jahren verbessern.

Alina Iordan wird ihren Landsleuten weiterhin ehrenamtlich als Mitglied der "aktion ./. arbeitsunrecht" und als Mitglied der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) helfen. Zirnsack, der beim DGB-Würzburg Gewerkschaftssekretär ist, unterstützt sie dabei. Oft kommt sie zu Zirnsak, um sich Rechtsauskünfte zu holen und das Vorgehen bei besonders katastrophalen Ausbeutungs-Formen oder raffinierter Umgehung des Mindestlohns zu besprechen.

So konnte sie einer Landsfrau helfen, die mehrere Monate bei einem Würzburger Reinigungsunternehmen gearbeitet hatte. Ihre Aufgabe bestand darin, die Zimmer eines Hotels zu säubern. Die Zeitvorgaben allerdings waren utopisch, sagt Iordan, die aktuell mehrere rumänische Angestellte dieser Firma betreut. Deshalb kämen die Leute freiwillig und unbezahlt eine Stunde vor Arbeitsbeginn und blieben teils noch lange nach Feierabend. Auch ihre Landsfrau wurde krank. Der Lohn für die Krankheitstage blieb aus. Iordan kontaktierte das Unternehmen und drohte, Zoll und Polizei einzuschalten: "In diesem Fall half das."

Pat Christ

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