Ausgabe 15/2017 - 13.04.2017
Frankfurt a.M. (epd). Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat der Bundesregierung vorgeworfen, zu wenig gegen die soziale Ungleichheit in Deutschland zu tun. Mit Blick auf den am 12. April vom Bundeskabinett verabschiedeten 5. Armuts- und Reichtumsbericht sagte der Wissenschaftler: "Es fehlt nicht an statistischen Daten, sondern an politischen Taten." Trotz Kritik an vielen Details sagte Butterwegge, der Bericht sei "weniger blauäugig und einseitig ausgefallen als seine Vorgänger".
"Ausgesprochen dünn ist die Datenlage weiterhin im Kernbereich der existenziellen Armut", beklagte der einstige Kölner Professor. Würden offizielle Statistiken zur Wohnungslosigkeit existieren, könnte man die zuständigen Behörden und die politisch Verantwortlichen leichter bewegen, das Problem mit der erforderlichen Konsequenz anzugehen. Noch immer stütze sich die Regierung auf Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe, wonach es 2014 in Deutschland wieder mehr als 335.000 Wohnungslose gab. 39.000 Menschen lebten dem Dachverband zufolge auf der Straße.
Der ehemalige Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten kritisierte zudem, dass der Bericht unterhalb der Armutsrisikogrenze von 942 Euro netto im Monat für einen Alleinstehenden nur von "Armutsgefährdung" spricht. Faktisch handele es sich aber um Einkommensarmut. Von der seien auch viele Menschen betroffen, die etwa unter Energiearmut litten: Über 330.000 Haushalten wurde 2015 der Strom, mehr als 43.000 das Gas abgestellt. Diese Armutsformen würden im Regierungsbericht nicht berücksichtigt.
Noch dürftiger sind laut dem Forscher der Erkenntnisstand und die Datenlage zur Verteilung des privaten Reichtums hierzulande. "An der Tatsache, dass der Reichtum in den Regierungsberichten ein Nischendasein fristet, hat sich wenig geändert", monierte Butterwegge. Entgegen den Absichtsbekundungen von Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) sei die Vermögensverteilung ein Stiefkind der statistischen Datenerfassung und -analyse geblieben.
Für den Armutsforscher haben diese Auslassungen System: "Werden 'normale' Mittelschichtangehörige, die im Wohlstand leben, wie selbstverständlich zu den Reichen gezählt, lässt sich die Tatsache, dass sich der wirkliche Reichtum in wenigen Händen konzentriert, leichter verschleiern." Aus Butterwegges Sicht ist das entscheidende Manko des Berichts, dass er nach den gesellschaftlichen, sozioökonomischen und politischen Ursachen der Einkommens- und Vermögensspreizung gar nicht frage. Der Text bleibe "rein deskriptiv und lässt größere analytische Tiefenschärfe vermissen".
Christoph Butterwegge lehrte von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität Köln.