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Pflege

Gefährliche Medikamente für Demenzkranke




Medikamentenausgabe im Altenheim
epd-bild/Werner Krüper
Demenzkranken helfen Therapien, die ihre Sinne und Fähigkeiten ansprechen. Und doch bekommen sie zu häufig und zu lange Medikamente verabreicht, wie aus einer Studie der Universität Witten/Herdecke hervorgeht. Das sei riskant - und sogar tödlich.

Demenzkranke bekommen in Pflegeheimen über zu lange Zeiträume hinweg zu viele und zu starke Medikamente. Einer Studie der Universität Witten/Herdecke zufolge, die die AOK am 5. April mit dem AOK-Pflege-Report 2017 in Berlin vorstellte, bekommen mehr als zwei Drittel der pflegebedürftigen Demenzkranken Medikamente, die ein aggressives Verhalten dimmen oder sie ruhigstellen sollen.

Jeder Fünfte nimmt Antidepressiva

Von den rund 500.000 Pflegebedürftigen, die von der Pflegekasse als anerkannte Demenzkranke in Heimen leben, bekommt jeder Dritte ein sogenanntes Neuroleptikum verordnet, das Wahnvorstellungen, Schizophrenie und aggressives Verhalten reduzieren soll. Jeder Fünfte müsse Antidepressiva nehmen, noch rund zehn Prozent Beruhigungsmittel, die sehr stark müde machen, sagte Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke. 43 Prozent der Betroffenen in den Pflegeheimen bekommen dauerhaft eines von zwei in Deutschland zugelassenen Neuroleptika verordnet - mit gravierenden Nebenwirkungen.

Denn laut Thürmann treten bei einer dreimonatigen Therapie mit dem Medikament bei 1.000 Patienten 18 zusätzliche Schlaganfälle, 94 Fälle von Gangstörungen und zehn zusätzliche Todesfälle auf. Dauere die Medikamenten-Therapie zwei Jahre, steige die Zahl der zusätzlichen Todesfälle auf 167, erklärte Thürmann.

Dass nicht-medikamentöse Therapien, die die Sinne und Erfahrungen der Betroffenen ansprechen, deren Lebensqualität steigern, wissen einer weiteren Untersuchung zufolge die Pflegebeschäftigten. Laut einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK gaben von 2.500 befragten Heimpflegekräften 89 Prozent an, dass Verstehen und Wertschätzung den Demenzkranken helfe. Auch Beschäftigungsangebote und Bewegung bewerteten über 80 Prozent als hilfreich. Aber 56 Prozent führten Zeitdruck als Grund an, herausforderndes Verhalten, zu dem auch häufiges Fragen, Rufen und Weglaufen gehört, mit Medikamenten zu behandeln. 82 Prozent hielten es für angemessen, bei Demenz Psychopharmaka zu verabreichen.

"Pflegekräfte zu unkritisch"

"Die Pflegekräfte kennen die Alternativen, sind aber zu unkritisch beim Einsatz von Medikamenten", sagte Pflege-Report-Mitherausgeberin Antje Schwinger. Deshalb müssten alternative Therapien stärker in den Pflegeheimen verankert und die Mitarbeiter für die Nebenwirkungen sensibilisiert werden. Für AOK-Chef Martin Litsch stehen vor allem die Ärzte in der Verantwortung, die die Nebenwirkungen bei der Verschreibung der Medikamente in Kauf nähmen.

Thürmann riet Angehörigen, bei der Wahl des Pflegeheims nach unterstützenden Angeboten wie Ergotherapien zu fragen und darauf zu achten, dass nicht zu viele Hausärzte in dem Heim tätig seien. Weniger Hausärzte könnten sich viel besser mit dem Pflegepersonal über einzelne Fälle abstimmen als viele Ärzte in einem Haus, argumentierte sie. Nur so ließen sich Nebenwirkungen von Medikamenten rechtzeitig erkennen.

Christina Denz

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