sozial-Politik

Leiharbeit

Zwischen Gerechtigkeit und moderner Sklaverei




In der Fleischindustrie ist Leiharbeit besonders verbreitet.
epd-bild/Gustavo Alàbiso
Bundesweit gibt es rund eine Million Leiharbeiter. Für die meisten bedeutet dies dauernde Unsicherheit und geringer Lohn. Zum 1. April trat ein Gesetz in Kraft, das ihre Situation verbessern soll. Doch Kritiker sprechen weiter von moderner Sklaverei.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verspricht den rund eine Million Leiharbeitern in Deutschland höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Sie sieht mit dem neuen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz die Rechte der bisher nur schlecht geschützten Leiharbeiter gestärkt. Es sei nicht länger hinnehmbar, "dass Arbeit durch Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen entwertet wird", sagte sie im Bundestag. Mit dem neuen Gesetz, das am 1. April in Kraft trat, "schieben wir dem einen Riegel vor". Das sehen nicht alle so, von Gewerkschaften gibt es Kritik.

An Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst

Worum geht es? Um Produktionsspitzen und spezialisierte Aufgaben zu bewältigen, sind Leiharbeiter aus dem heutigen Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken. Sie arbeiten in der Metallindustrie, auf Werften oder in der Fleischindustrie, etwa als Zerleger von geschlachteten Schweinen. In der Regel verdienen sie deutlich schlechter als die Stammbelegschaft und können von heute auf morgen in einem anderen Unternehmen eingesetzt werden.

Das war nicht immer so. Bis 1967 war es sogar verboten, Menschen an Firmen auszuleihen und dafür einen Teil des Lohnes einzubehalten. Erst 1972 wurde vom Bundestag das erste Gesetz zur Überlassung von Arbeitskräften verabschiedet. In den Folgejahren wurde es stetig reformiert und an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst. Nach Schätzungen von Experten gibt es bundesweit heute mehr als 10.000 Zeitarbeitsfirmen.

Ein zentraler Punkt im neuen Gesetz ist der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Spätestens nach neun Monaten soll ein Leiharbeiter genauso viel verdienen wie sein Kollege aus der Stammbelegschaft, es sei denn, die Entleiher und Verleiher haben sich an einen Tarifvertrag gebunden. Dann können sie unter bestimmten Umständen vom Gesetz abweichen.

Warnung vor Schlupflöchern

Geschickte Firmen können die angestrebte Lohngleichheit jedoch umgehen. In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages warnen die Experten vor Schlupflöchern: "Tatsächlich bleibt nach dem Gesetzentwurf eine Rotationslösung denkbar, wenn ein Verleiher beispielsweise zwei Leiharbeitnehmer halbjährlich wechselnd in zwei Entleih-Betrieben einsetzt", zitierte die "Süddeutsche Zeitung" bereits im Oktober aus dem Gutachten.

Für Matthias Brümmer von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Oldenburg wird sich für viele Leiharbeiter mit dem Gesetz das Problem nur verschieben. "Zwar wird die Leiharbeit massiv zurückgehen - aber dafür wird die Zahl der Werkverträge im gleichen Ausmaß zunehmen." Während bei der Leiharbeit Menschen auf Zeit an einen Betrieb überlassen werden, werden bei Werkverträgen für bestimmte Leistungen feste Summen vereinbart.

Brümmer geht davon aus, dass gerade in der in Niedersachsen starken Fleischverarbeitungsbranche Subunternehmen mit den Zerlegebetrieben mehr Werkverträge aushandeln werden. Dann bliebe dem Arbeitnehmer wieder nur der Mindestlohn, von dem er größte Teile für Transport, Arbeitsgeräte und Unterkunft an seinen Chef abführen muss, sagt Brümmer. Der frühere katholische Prälat Peter Kossen aus Cloppenburg geißelte dieses Gebaren der Subunternehmen in der Fleischindustrie immer wieder als "moderne Sklaverei".

80 Prozent haben einen Werkvertrag

Gerade in der Fleischindustrie wird der mögliche Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen besonders deutlich. In vielen Betrieben liegt der Anteil der Werkvertragsbeschäftigten bei 80 Prozent. Kenner der Branche gehen davon aus, dass es allein in Niedersachsen rund 20.000 Leiharbeiter und 40.000 Werkvertragsarbeiter gibt.

"Das Gesetz geht in die richtige Richtung, führt die Leiharbeit auf ihre Kernfunktion zurück und stellt wichtige Weichen in der Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen", sagte Niedersachsens Wirtschafts- und Arbeitsminister Olaf Lies (SPD) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch auch er rechnet damit, dass es einige Zeit braucht, bis die Änderungen greifen: "Unser Ziel muss es sein, den Anteil der Werkvertragsbeschäftigten zurückzufahren und den Anteil der Stammbelegschaft zu erhöhen."

Jörg Nielsen

« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

Ministerium startet Wettbewerb zur Integration von Flüchtlingen

Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) hat einen neuen Wettbewerb zur Integration von Flüchtlingen in Wohnvierteln vorgestellt. Dafür stellt das Sozialministerium bis 2018 insgesamt drei Millionen Euro zur Verfügung, wie die Behörde mitteilte. Bei der Auftaktveranstaltung in der evangelischen Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover gab die Ministerin am 3. April den offiziellen Startschuss für die Aktion.

» Hier weiterlesen

Beratungsstelle für misshandelte Heimkinder nimmt Arbeit auf

Am 3. April hat im Freistaat Bayern die Anlauf- und Beratungsstelle der bundesweiten "Stiftung Anerkennung und Hilfe" ihre Arbeit aufgenommen. Ziel der Stiftung ist die Entschädigung von Behinderten für brutale Behandlung in Heimen zur Zeit der alten Bundesrepublik und der DDR. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) sagte, endlich gebe es nicht nur Unterstützung und Hilfe für ehemalige Heimkinder der Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch der Behindertenhilfe und Psychiatrie. Es geht um Betroffene, die von 1949 bis 1974 in der alten Bundesrepublik und von 1949 bis 1990 in der DDR in solchen Einrichtungen lebten.

» Hier weiterlesen

Gut verdienende Frauen bevorzugen getrennte Kassen in der Ehe

Gut verdienende Frauen bevorzugen in der Ehe laut einer Studie getrennte Kassen. Zwar verwalteten die meisten Paare ihr Einkommen zusammen, teilte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung am 5. April in Düsseldorf mit. Bei Paaren mit getrennten Kassen sei aber das Einkommen der Frau in der Regel deutlich höher als bei gemeinsam wirtschaftenden Paaren. Nach Ansicht der Sozialwissenschaftlerin Yvonne Lott deutet das darauf hin, dass Frauen finanzielle Unabhängigkeit anstreben, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.

» Hier weiterlesen