sozial-Branche

Flüchtlinge

"Rundumbetreuung" bis zum Job




Vorbildiche Qualifizierung: Flüchtlinge aus Eritrea und Gambia in einer Werkstatt in Kehl.
epd-bild / Winfried Rothermel
Im badischen Kehl gibt es eine Rundum-Förderung für junge Geflüchtete. Für die vorbildliche Unterstützung erhält die Bürgerstiftung Kehl den Förderpreis Aktive Bürgerschaft. Eine wichtige Würdigung, denn nicht überall finden Flüchtlinge so gute Hilfsangebote vor.

Der Tag von Ali Hazara beginnt früh: Der Weg von der Flüchtlingsunterkunft im badischen Kehl bis zum Industriegebiet in der Vorstadt ist weit, für den Bus hat er kein Geld. Also nimmt er ein Fahrrad, das er geschenkt bekommen hat. Bis zum Nachmittag lernt er den Umgang mit Metall, Fräse und Schutzbrille - oder aber Deutsch, je nach Schulstunde. Ist er fertig, fährt er noch ein bisschen Pizza aus, damit er wenigstens etwas Geld zur Verfügung hat. Am Abend versucht er zu lernen. Im Sechsbettzimmer ist das aber schwierig. "Nur am Sonntag spiele ich zwei Stunden Fußball", sagt der 19-Jährige. Für ihn ist klar: "Aus mir soll etwas werden."

Ali Hazara hat Glück: Er ist einer von sechs Jugendlichen, die an einer preisgekrönten Qualifizierung teilnehmen. Der zehnmonatige Intensivkurs, den er und die anderen Azubis in Deutsch und Metallbearbeitung absolvieren, ist ein Beispiel für das, was möglich ist, wenn Geld investiert wird: 125.000 Euro kostet die Ausbildungsvorbereitung der Geflüchteten, also mehr als 20.000 Euro je Teilnehmer.

Stiftung sammelte erfolgreich Sponsorengelder

Gesammelt hat das Geld die Bürgerstiftung Kehl bei verschiedenen Sponsoren. Für diese Arbeit wird die Stiftung im Mai mit dem begehrten Förderpreis Aktive Bürgerschaft ausgezeichnet. Eine solche "Rundumbetreuung" ist eben nicht der Regelfall.

Schon länger ist die Qualifikation in Kehl auf fremdsprachige Jugendliche zugeschnitten. "In Deutschland gibt es nicht genug junge Menschen, die sich für eine Ausbildung hier interessieren. In Frankreich, wo eine hohe Jugendarbeitslosigkeit herrscht, hingegen schon", sagt Karl Haase von der Bürgerstiftung Kehl. Also sei es von Franzosen zu Flüchtlingen kein großer Schritt gewesen. 70 Bewohner der Unterkunft lud man ein und ließ sie drei Tage probearbeiten. Am Ende wurden die besten sechs ausgewählt.

"Wir können jedem, der die Qualifikation erfolgreich abschließt, einen Ausbildungsplatz garantieren", sagt Ausbildungsleiter Michael Enderle. Damit sei nicht nur den Flüchtlingen geholfen, sondern auch der Wirtschaft. "Dass der Ausbildungsjahrgang nur aus jungen Männern besteht, ist Zufall", sagt Haase. Junge Frauen hätten sich für die Metallarbeit nicht interessiert. Allerdings seien einige von ihnen in einem vergleichbaren Pflege-Projekt untergebracht.

Daten über Ausbildungskosten fehlen

Selten steht für die Qualifikation von Geflüchteten so viel Geld bereit wie in Kehl. Es gibt noch keine aktuellen Zahlen, wie teuer eine Ausbildungsvorbereitung im Schnitt ist - wohl aber eine Prognose aus dem Nationalen Bildungsbericht aus dem Sommer 2016: Für zwischen 66.000 und 88.000 Geflüchtete, die eine Qualifikation absolvierten, wurden Kosten zwischen 644 und 860 Millionen Euro veranschlagt. Das wären knapp 10.000 Euro pro Teilnehmer - also nicht einmal die Hälfte des Kehler Projektes.

Es ist eine komplizierte Situation: Geld ist nicht im Überfluss vorhanden, andererseits schlicht notwendig, um diese Menschen zu integrieren. Vor allem aber kann die Investition hierzulande völlig überflüssig sein, wenn der Flüchtling während der Qualifikation abgeschoben wird. Zwar gibt es seit der Verabschiedung des Integrationsgesetzes im vorigen Sommer eine sogenannte Ausbildungsduldung, die Flüchtlinge in dieser Zeit in der Regel vor Abschiebung bewahrt. Allerdings gilt diese nur für die Dauer einer geregelten Ausbildung, die vorgeschaltete Einstiegsqualifizierung fällt nicht darunter.

Dabei ist diese in vielen Fällen genau das, was die jungen Menschen benötigen: "Wir stemmen hier wirklich eine Intensivbetreuung. Wir haben für einige Teilnehmer Fahrkarten besorgt, für andere Fahrradspenden. Wir organisieren Sprachunterricht und das Lernen in der Werkstatt. Andere junge Menschen sind einfach sich selbst überlassen", sagt Ausbildungsleiter Enderle.

"Regierung bremst Integration aus"

Wenn es nur das wäre. "Mit der neuesten Entscheidung der Bundesregierung, nur noch in Ausnahmefällen Ausbildungsverträge für Flüchtlinge zu genehmigen, die nicht aus Syrien, Iran, Irak, Eritrea oder Somalia kommen, bricht für viele junge Flüchtlinge die Grundlage einer dauerhaften Integration weg", erklärte Sandra Grau vom Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands. Das betreffe vor allem Afghanen. Seit Beginn des Jahres werde Asylbewerbern nur noch in Ausnahmefällen eine Beschäftigungserlaubnis erteilt. Die sei für einen Ausbildungsvertrag jedoch zwingend notwendig.

"Da das Bundesamt für Migration auch keinen subsidiären Schutz mehr zulässt, sind die jungen Afghanen unmittelbar von Abschiebung bedroht." Die ganze Integration durch Sprachkurse, Schulbesuch und andere Maßnahmen sei damit völlig umsonst: "Wir fragen uns schon, wozu wir überhaupt arbeiten." Ali Hazara weiß um sein Glück. Vier seiner Zimmergenossen haben keine Ausbildung und keine Qualifikation. "Es ist schwer, sich auf das Lernen zu konzentrieren, wenn man von Menschen umgeben ist, die zu viel Zeit haben", sagt er. Sie könnten nachts nicht schlafen - und er auch nicht.

Sebastian Stoll

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