sozial-Branche

Pflege

Interview

"Internet vereinfacht die Suche nach Helfern in der Pflege"




Tim Kahrmann
epd-bild/privat
Tim Kahrmann hat mit zwei Informatikstudenten an der Universität Witten/Herdecke das Start-up-Unternehmen "Pflegix" gegründet. Es will per Online-Plattform Pflegebedürftige und Helfer für die Betreuung daheim zusammenbringen. Schnell und unkompliziert soll das geschehen. Noch ist das neue Angebot nicht flächendeckend nutzbar, doch das soll sich ändern.

"Pflegix" reagiere auf die wachsende Nachfrage nach flexiblen Dienstleistungen von Senioren im eigenen Haushalt, sagte Tim Kahrmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Über die Online-Plattform hätten sich bereits 3.000 Helfer registrieren lassen, die ihre Dienste anbieten. Der neue Service sei in 14 Städten in Nordrhein-Westfalen, Frankfurt am Main und Hamburg nutzbar - und soll in diesem Jahr deutlich ausgeweitet werden. Wie die Plattform funktioniert und wer sie nutzen kann, verrät Kahrmann im Gespräch mit Dirk Baas.

epd sozial: Herr Kahrmann, Sie haben Ihr Startup-Unternehmen "Pflegix" getauft. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Wortschöpfung?

Tim Kahrmann: Startups stehen ja bekanntlich für Dynamik und Innovation, die wir in den Pflegesektor bringen wollen. Für diese Aufgabe suchten wir nach einem kurzen, knackigen Namen, der im Gedächtnis bleibt. Aus Pflege plus "X", dem gewissen Etwas, wurde dann "Pflegix".

epd: Sie und ihre zwei Mitgründer wollen professionelle Helfer und Pflegebedürftige zusammenbringen und nutzen dazu das Internet. Warum ist es ohne eine solche Plattform so schwierig, beide Parteien zusammenzubringen?

Kahrmann: Die Suche nach passender Unterstützung kann sich organisatorisch und zeitlich sehr aufwändig gestalten. Man kann das mit einem Bewerbungsprozess vergleichen, mit dem Firmen ganze Abteilungen beschäftigen. Die suchenden Angehörigen stehen jedoch meist allein da, sind unerfahren und brauchen händeringend Hilfe, sind also in Zeitnot. Wir vereinfachen und beschleunigen die Suche für sie, indem wir über unsere Internetplattform in der Nähe verfügbare Helfer aufzeigen und den Suchprozess mittels verschiedener Filterfunktionen vereinfachen.

epd: Welchen konkreten Nutzen bringt das?

Kahrmann: Die Angehörigen innerhalb weniger Minuten und ohne Risiken einen Überblick passender Helfer aus der Umgebung und können sich mittels der Helferprofile einen ersten Eindruck verschaffen. Eine Einladung passender Helfer zum persönlichen Kennenlernen ist dann mit nur einem Knopfdruck möglich.

epd: Pflegebedürftige sind ja zumeist ältere Menschen, die gar kein Internet haben. Wie soll das funktionieren?

Kahrmann: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Die "Entscheider" sind allerdings meist die Kinder oder andere Angehörige, die in der Regel eine Generation jünger sind und damit eine viel höhere Affinität für die digitalen Medien mitbringen. Und man unterschätzt, wie vertraut mittlerweile Mitte 50-Jährige mit den modernen Technologien schon sind. So greift zum Beispiel mehr als die Hälfte unserer Nutzer über ein mobiles Gerät auf unserer Plattform zu, Tendenz steigend. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, diese Digitalisierung in der Pflege mit voran zu treiben.

epd: Ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen suchen händeringend qualifiziertes Personal. Es fehlt allerorten an Pflegeprofis. Können Sie vor diesem Hintergrund überhaupt genügend Interessenten für ihre Angebote finden?

Kahrmann: Wir hören auch sehr viel davon. Uns bietet sich jedoch auf unserer Plattform ein anderes Bild. Bei uns registrieren sich eine Vielzahl professioneller Pflegekräfte und Pflegehelfer - in der Regel ist unter vier Helfern eine professionelle Kraft dabei. Es gibt jedoch ein wachsendes Bedürfnis nach mehr Wertschätzung und Selbstbestimmung im Bereich der Pflege. So kommt für immer mehr Pflegekräfte neben einer klassischen Anstellung auch eine selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit in Frage. Dieser Trend spielt uns voll in die Karten.

epd: Sie werben damit, dass Pflegix viele kleinere Hilfestellungen im Alltag der betreuten Personen ermöglicht? Das klingt danach, dass das Angebot keineswegs nur die klassische Pflege umfasst?

Kahrmann: Richtig. Es gibt immer mehr ältere Menschen, die zwar kleinere Hilfestellungen im Alltag benötigen, aber gern so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben möchten. Das macht sie noch lange nicht pflegebedürftig, da sie den Großteil ihres Alltags durchaus noch ohne fremde Hilfe bewältigen können. Deshalb bieten unsere Helfer auch Unterstützung bei Aufgaben, die normalerweise Angehörige übernehmen, wie Gesellschaft leisten, Reinigung der Wohnung, Unterstützung beim Einkauf von Lebensmitteln oder der Zubereitung von Mahlzeiten.

epd: Vermutlich ist es einfacher, das neue Angebot in großen Städten zu etablieren. Funktioniert die Idee auch im flachen Land?

Kahrmann: Wir konzentrieren uns bei der Erschließung neuer Regionen zunächst auf größere Städte, weil hier mehr Menschen leben und die Nachfrage entsprechend groß ist. Aber unser System funktioniert auch sehr gut in weniger dicht besiedelten Räumen. Denn unsere Erfahrung zeigt, dass sich unser Konzept nach und nach in die umliegenden Regionen einer Stadt "verselbstständigt".

epd: Sie vermitteln nur das Personal und kümmern sich um die Anrechnung. Wie stellen Sie sicher, dass unter den Vermittelten keine "schwarzen Schafe" sind?

Kahrmann: Die Sicherheit der auf unserem Marktplatz registrierten Familien und Helfer hat für uns höchste Priorität. Daher implementieren wir eine Reihe von Maßnahmen, Prozessen und Verhaltensregeln, die eine sichere und vertrauenswürdige Interaktion zwischen den Familien und Helfern ermöglichen.

epd: Haben Sie ein Beispiel?

Kahrmann: Wir haben die sogenannten Vertrauenspunkte entwickelt, mittels derer wir die Vertrauenswürdigkeit der Helfer in einem einzelnen Wert abbilden und den Angehörigen Orientierung geben möchten. In diese Punkte spielen Faktoren mit ein, wie beispielsweise Bewertungen, die Häufigkeit von Buchungen oder von den Helfern hochgeladene Dokumente, wie Ausweise oder Zeugnisse. All unsere Maßnahmen ersetzen jedoch nicht den persönlichen Eindruck, den sich die Angehörigen vor Ort beim persönlichen Kennenlernen machen können.

epd: Der Staat finanziert über die Pflegekassen die Nutzung von Ersatzpflegeanboten mit rund 2.400 Euro pro Jahr. Für Pflegix ein Angebot zur rechten Zeit?

Kahrmann: Das hilft uns in der Tat sehr. Denn das Geld kann für die Nutzung der Leistungen unserer Helfer genutzt werden und gilt unabhängig von der jeweiligen Pflegestufe. Bislang wurden diese Leistungen aufgrund mangelnder Bekanntheit oder fehlender Angebote jedoch nur von wenigen Bezugsberechtigen abgerufen. Das wollen wir ändern.

epd: Sie haben bereits 3.000 Helferinnen und Helfer in 14 Städten in Nordrhein-Westfalen sowie in Frankfurt und Hamburg registriert. Da ist noch reichlich Platz auf der deutschen Landkarte. Wie wollen Sie das Angebot noch bekannter machen?

Kahrmann: Wir müssen uns selbst immer wieder vor Augen halten, dass wir unser Unternehmen erst im September vergangenen Jahres gegründet haben. Dafür haben wir in so kurzer Zeit sehr viel erreichen können. Wenn eine Plattform erst einmal in einer Stadt funktioniert, wird sie in allen Städten funktionieren. Deshalb stehen im Moment die Optimierung unserer internen Prozesse und der Ausbau von Funktionen unserer Plattform im Vordergrund. Neue Städte erschließen wir dann ganz gezielt über die Online-Kanäle - erst sprechen wir die Helfer an, dann die Angehörigen. In diesem Prozess sind wir inzwischen sehr erfahren und wir sind optimistisch, dass wir bis Ende 2017 weite Teile Deutschlands abgedeckt haben werden.


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