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Luftbrücke nach Saigon




Ein kriegsverletztes vietnamesisches Kind wird 1968 aus dem Flugzeug getragen.
epd-bild / terre des hommes
Aus dem Vietnamkrieg in deutsche Krankenhäuser: Mit der Hilfe für schwer verletzte Kinder begann vor 50 Jahren die Arbeit des Kinderhilfswerks terre des hommes. Die Kriegsopfer von einst sind bis heute dankbar.

Die Macht der Bilder hat die Vietnamesin Chinh Vo Thi einst nach Deutschland gebracht. Fotos und Filmaufnahmen von verwundeten und verängstigten Kindern, Opfer des Vietnamkriegs, gingen in den 60er Jahren um die Welt. Der Grafik-Designer Lutz Beisel war zutiefst erschüttert: "Die Bilder haben mir den Schlaf geraubt." Beisel gründete nach dem Vorbild der gleichnamigen Schweizer Organisation am 8. Januar 1967 in Stuttgart das Kinderhilfswerk terre des hommes, um schwer verletzte Kinder nach Deutschland holen zu können.

Vo Thi gehörte zu den rund 200 Mädchen und Jungen, die bis 1971 zur medizinischen Behandlung eingeflogen wurden. "Ich bin hier und warte auf Dich", habe ihr Vater damals beim Abschied zu ihr gesagt. "Diesen Satz habe ich nie vergessen", sagt die 53-Jährige heute. Sie hat ihren Vater nicht wiedergesehen. Ein Jahr später ist er gestorben, "weil er krank war und aus Sehnsucht nach seiner Tochter", berichtet Vo Thi in einer E-Mail dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie selbst kehrte erst 1974 in ihre Heimat zurück.

Rückkehr der Kinder war vereinbart

Terre des hommes hatte mit der vietnamesischen Regierung vereinbart, dass die Jungen und Mädchen nach Vietnam zurückgebracht würden, wenn ihre Behandlung abgeschlossen wäre. Die Patienten im Alter zwischen vier und 16 Jahren hatten Granat- oder Bombensplitter abbekommen, Schussverletzungen, Verbrennungen, manche waren querschnittsgelähmt oder blind.

Auch Tho Beckmann ist eines der "Kinder von terre des hommes". Diese Bezeichnung hat die 65-Jährige für sich und die anderen geprägt. "Denn unser Leben bleibt immer mit terre des hommes verbunden." Sie gehört zu den ganz Wenigen, die in Deutschland geblieben sind. Nach dem Zusammenbruch des Regimes in Südvietnam im Frühjahr 1975 habe es keine Rückführungen mehr gegeben. Das sei ihr Glück gewesen.

Für Beckmann, die durch eine Schussverletzung querschnittsgelähmt ist, entwickelte sich danach eine ganz besondere Beziehung zu "ihrem" Kinderhilfswerk. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin. Kurz darauf bekam sie eine Stelle bei terre des hommes. Später arbeitete sie als Referentin für Vietnam. Auch nach 42 Jahren denkt sie nicht ans Aufhören: "Ich bin verwurzelt mit terre des hommes. Und ich fühle, dass meine Arbeit immer noch einen Sinn hat."

Hilfe in Vietnam dauert bis heute an

Und immer kümmerte sich Beckmann auch um die nach Vietnam zurückgekehrten Kriegsopfer - bis heute. "Die, die noch leben, brauchen immer noch Hilfe. Sie leiden jetzt im Alter und aufgrund des feuchten Klimas unter den Spätfolgen ihrer Verletzungen", sagt die Ehefrau und Mutter eines erwachsenen Sohnes. Auf dem Land fehle es an Infrastruktur, damit etwa Rollstuhlfahrer dort selbstständig leben könnten.

Operationen, Therapien und Anpassungen von Prothesen in Deutschland dauerten damals oft Jahre, erzählt Beckmann. Viele Kinder verbrachten Monate in Kliniken. Auch Chinh Vo Thi verbrachte zweieinhalb Jahre im Krankenhaus in Hamburg-Barmbek, musste mehrfach operiert werden. Bombensplitter in ihrer Schulter hatten auch bei ihr eine Querschnittslähmung verursacht. Eine Pflegemutter holte sie an den Wochenenden zu sich nach Hause. "Ich habe nur schöne Erinnerungen daran." Danach sprach sie nur noch Deutsch.

Seit 1971 gibt es ein Pädagogisches Zentrum

1971 wurde sie nach Dehme nahe Bad Oeynhausen gebracht. Dort hatte terre des hommes ein Pädagogisches Zentrum eingerichtet, um die Jungen und Mädchen auf die Rückreise vorzubereiten. Sie erhielten Unterricht in Vietnamesisch und Deutsch und bekamen eine berufsbezogene Ausbildung. "Ich kann nur sagen, dass war die schönste Zeit meines Lebens", sagt Vo Thi. "Hier lebten wir zusammen wie eine große Familie. Uns fehlte nichts."

Im November 1974 wurde Vo Thi zusammen mit anderen zurückgebracht. Vor allem der Anfang in dem von Armut geprägten Land sei schwer gewesen, erinnert sie sich. Aber sie hat es geschafft. Heute lebt Vo Thi in einer Wohnung neben einem Reha-Zentrum, das terre des hommes 1983 errichtet hat, und arbeitet für eine deutsche Firma: "Bis heute denke ich noch gerne an die Vergangenheit. Ich danke so vielen lieben Menschen in Deutschland. Wenn terre des hommes mich nicht dahin gebracht hätte, weiß ich nicht, was aus mir geworden wäre."

Martina Schwager

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