sozial-Recht

Bundessozialgericht

Rechtsstreit über Pflegevergütung geht in neue Runde




Die Vergütung der häuslichen Pflege ist seit Jahren äußerst strittig.
epd-bild/Jens Schulze
Höhere Vergütungssätze in der häuslichen Krankenpflege dürfen Krankenkassen nicht allein mit dem pauschalen Verweis auf eine gefährdete Beitragsstabilität ablehnen. Dies hat das Bundessozialgericht in einem Rechtsstreit über die Vergütung ambulanter Pflegedienste in Niedersachsen betont.

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel machte in einer am 29. November verhandelten Gerichtsverhandlung deutlich, dass es auch unter dem neuen Vorsitz von BSG-Präsident Rainer Schlegel der bisherigen Rechtsprechung weiter folgen will. Danach müssen die Krankenkassen die häusliche Krankenpflege so vergüten, dass die ambulanten Pflegedienste die Versorgung der Versicherten gewährleisten und ihre Beschäftigten "anständig" entlohnen können, wie der BSG-Präsident wörtlich sagte.

Vergleich auf Widerruf

Im konkreten Rechtsstreit schlossen nun der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe in Niedersachsen, der Caritasverband der Diözese Osnabrück und mehrere Krankenkassen, darunter die AOK Niedersachsen, einen Vergleich auf Widerruf. Sie erklärten sich zu neuen Gesprächen über die Vergütung der häuslichen Krankenpflege für das Streitjahr 2009 bereit.

Die Fronten zwischen den Parteien über eine angemessene Vergütung der häuslichen Krankenpflege sind seit Jahren verhärtet. Bis heute ist für jedes Jahr die Bezahlung der häuslichen Krankenpflege strittig.

Die klagenden Pflegedienstverbände verlangten für das Jahr 2009 eine Vergütungserhöhung um 5,9 Prozent. Wegen der schlechten Bezahlung der häuslichen Krankenpflege verschlechterten sich auch die Arbeitsbedingungen. Dies führe dazu, dass man nicht genügend Pflegekräfte findet, argumentierten die Verbände. Damit sei die Versorgung der Patienten mit häuslicher Krankenpflege gefährdet.

88 ambulante Pflegedienste klagen

Die Krankenkassen wollten dagegen nur 1,41 Prozent mehr Geld zahlen. Dies entsprach der Steigerung der vom Bundesgesundheitsministerium festgelegten sogenannten Grundlohnsumme. Dabei handelt es sich um die Summe aller beitragspflichtigen Löhne und Gehälter, für die Krankenversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Die Steigerung nach der Grundlohnsumme sei gesetzlich vorgeschrieben, erklärte die AOK Niedersachsen. Dies diene dazu, die Kassenbeiträge stabil zu halten.

Wegen des Streits entschied schließlich eine Schiedsperson, die die von den Kassen angebotene Anhebung der Vergütung um 1,41 Prozent bestätigte. Die Beitragssatzstabilität müsse gewahrt werden. Das Landessozialgericht Niedersachsen beließ die Vergütung für die häusliche Krankenpflege in den ersten drei Quartalen des Jahres 2009 bei 1,41 Prozent und hob sie für das vierte Quartal um 5,64 Prozent an.

Während zahlreiche Verbände, darunter auch die Diakonie, sich schließlich mit den Kassen auf einen Vergleich einigten, zogen die beiden klagenden Landespflegeverbände, die 88 ambulante Pflegedienste vertreten, zum BSG.

Versorgung der Versicherten

In der Verhandlung machten die Kasseler Richter am 29. November deutlich, dass sich zwar grundsätzlich die Erhöhung der Vergütung nach der Grundlohnsumme richten müsse. Doch ebenso müsse die Versorgung der Versicherten gewährleistet sein. Sei diese gefährdet, müssten die Kassen mehr als die Steigerung der Grundlohnsumme zahlen. Der pauschale Verweis der Kassen auf die Beitragssatzstabilität reiche nicht aus.

Der Senat verwies auch auf sein Urteil vom 23. Juni 2016, in dem es um die Tariflöhne für die häusliche Krankenpflege in Hessen ging. Danach müssen ambulante Pflegedienste in der häuslichen Krankenpflege gezahlte Tariflöhne mit einkalkulieren können. Werden die Tariflöhne tatsächlich gezahlt, können Krankenkassen höhere Vergütungssätze nicht mit dem Argument verweigern, dass eine Tariflohnerhöhung unwirtschaftlich ist und die Beitragsstabilität gefährdet wird.

Um eine höhere Vergütung als die Grundlohnsumme zu erhalten, müssen die Pflegeverbände aber auch mit harten Zahlen belegen, dass die Versorgungssicherheit tatsächlich gefährdet ist, forderte das BSG im aktuellen niedersächsischen Rechtsstreit. Konkrete Belege hatten weder die Krankenkassen oder die Schiedsperson verlangt, noch haben die Kläger diese von sich aus vorgelegt.

Auf Vorschlag der obersten Sozialrichter einigten sie die Parteien schließlich auf einen Vergleich, der bis 15. Dezember 2016 widerrufen werden kann. Darin verpflichten sich Kassen und Pflegeverbände, in erneute Vergütungsverhandlungen einzutreten. Die Verbände legen die Betriebs- und Kostenstruktur einer repräsentativen Auswahl an Pflegediensten vor, die die stark gestiegenen Personalkosten belegt. Nur so könne eine höhere Vergütung über der Grundlohnsumme und eine Gefährdung der Patientenversorgung begründet werden, erklärte der 3. BSG-Senat.

Az.: B 3 KR 7/16 R

Az.: B 3 KR 26/15 R und B 3 KR 25/15 R (BSG-Urteile vom 23. Juni 2016 zur Pflege in Hessen)

Frank Leth

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