Ausgabe 48/2017 - 02.12.2016
Frankfurt a.M. (epd). Ende September 2016 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vorgelegt. Der Bedarfsbemessung liegt das sogenannte Statistikmodell zugrunde. Bei dieser Methode werden die durchschnittlichen Konsumausgaben eines unteren Einkommensbereichs als Indikator für den Mindestbedarf berechnet. Dies ist grundsätzlich ein geeignetes Verfahren, das aber im Gesetzentwurf nicht sachgerecht angewendet wird.
Zum einen sind die zugrundeliegenden Referenzgruppen für die Ableitung eines soziokulturellen Existenzminimums nicht geeignet. Denn sie umfassen Haushalte, die ein so geringes Einkommen haben, dass bei ihnen die Möglichkeit der sozialen und kulturellen Teilhabe nicht gegeben ist. Darunter sind auch Haushalte in verdeckter Armut - also Haushalte, die ihren Anspruch auf Sozialleistungen nicht geltend machen.
Zum anderen werden im Gesetzentwurf der Bundesregierung zahlreiche Güter aus dem als regelbedarfsrelevant bezeichneten Konsum gestrichen. Dies steht der Grundannahme des Statistikmodells, dass sich über- und unterdurchschnittliche Bedarfe im Einzelfall ausgleichen, diametral entgegen. Die Folge sind weitere Bedarfsunterdeckungen. Dabei geht es nicht nur um die gelegentliche Flasche Bier oder Wein, sondern beispielsweise auch um Taschen, Schirme, Blumenerde, Adventskranz, Futter für das Vogelhäuschen. Insgesamt werden durch derartige Streichungen die ohnehin geringen Ausgaben der Referenzgruppen um etwa ein Viertel gekürzt.
Im Gegensatz zum gesetzlich vorgegebenen Verfahren wurde in einem von der Diakonie Deutschland finanzierten Projekt ein konsistentes Statistikmodell entwickelt und auf dieser Basis ein normativer Spielraum abgesteckt. Unterschiede zum Gesetzentwurf bestehen insbesondere in folgenden Punkten.
hinter den entsprechenden Ausgaben der gesellschaftlichen Mitte zurückbleiben. Diese Grenzwerte wurden als Basis zur Bewertung der eigenen Berechnungsergebnisse herangezogen. Sie sind zudem als Diskussionsgrundlage für die weitere gesellschaftspolitische Auseinandersetzung geeignet.
Die Höhe der Regelsätze, die auf diese Weise berechnet werden, unterscheiden sich deutlich von den Regelsätzen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. So übersteigt der hier ermittelte Regelbedarf von Erwachsenen ohne Partner bzw. Partnerin von 560 Euro den im Gesetzentwurf für 2017 ausgewiesenen Betrag von 409 Euro am weitesten: Das Plus von 151 Euro betrifft insbesondere Alleinlebende und Alleinerziehende.
Für Paare ergeben sich 881 Euro statt 736 Euro, der Höherbetrag fällt also mit 145 Euro vergleichsweise mäßig aus. Bei Kindern unter sechs Jahren liegt der Wert nach unserer Alternativrechnung bei 254 Euro (statt 236 Euro laut Gesetzentwurf). Im Gegensatz zu den Erwachsenenbedarfen fällt also der im Projekt ermittelte minimale Regelbedarf von Kindern unter sechs Jahren nur wenig höher aus als der Betrag, den die Bundesregierung Kindern in Hartz-IV-Familien im nächsten Jahr zuspricht.
Die im Gesetzentwurf vorgenommenen Streichungen von Mobiltelefonkosten, Aufwendungen für außerschulischen Sport- und Musikunterricht, für Schreibwaren, für Speisen und Getränke in Gaststätten und Hotels schlagen sich insbesondere bei der gesetzlichen Regelbedarfsermittlung für Schulkinder und Jugendliche nieder. Dementsprechend groß fallen die Höherbeträge aus, die sich nach den hier vorgestellten Berechnungen ergeben. Für Kinder von sechs bis unter 14 Jahren beläuft sich der pauschalierbare Mindestbedarf auf 362 Euro statt 291 Euro (Differenz: 71 Euro). Für Jugendliche ab 14 Jahren liegt der Betrag bei 389 Euro im Jahr 2017, während der Gesetzentwurf lediglich 311 Euro vorsieht (Differenz: 78 Euro).
Regelbedarfe stellen einen wesentlichen Teil, nicht aber das gesamte soziokulturelle Existenzminimum dar. Letzteres ergibt sich erst im Kontext der Güter und Dienstleistungen, die als nicht pauschalierbar eingestuft werden. Dazu zählen – wie auch im Rahmen des SGB II bzw. XII – die (angemessenen) Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, nach dem hier vorgestellten Konzept aber auch Energiekosten und Ausgaben für notwendige Anschaffungen. Zur Berechnung des steuerrechtlichen Existenzminimums sind also die Regelbedarfe um eine Pauschale für Kosten der Unterkunft sowie einen weiteren Zuschlag – schätzungsweise circa 13 Prozent - zu erhöhen.