Ausgabe 48/2017 - 02.12.2016
Berlin (epd). Diakonie und Pro Asyl kritisierten am 30. November in Berlin, dass die Vorgabe nach dem großen Andrang Asylsuchender, möglichst viele Anträge abzuarbeiten, zu einer "fehlerträchtigen Entscheidungshektik" geführt habe. In einem von zehn weiteren Organisationen unterzeichneten "Memorandum" fordern sie unter anderem mehr Sorgfalt bei den Anhörungen und eine bessere Ausbildung von Dolmetschern.
Für das Memorandum haben die Autoren 106 Fälle von Asylberatungsstellen oder Anwälten analysiert. Die Studie knüpft an eine ähnliche Untersuchung aus dem Jahr 2005 an. Ihr Ergebnis: Viele der damals festgestellten Mängel bestehen heute immer noch. Dazu zählen die Organisationen unter anderem das Fehlen ausreichender Informationen für die Antragsteller und einen Mangel an Rechtsberatung.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilte via Twitter mit, die 106 Fälle seien für die bisher 530.000 Entscheidungen in diesem Jahr nicht maßgeblich. "Dennoch nehmen wir Hinweise auf Qualitätsmängel ernst", erklärte Behördenchef Frank-Jürgen Weise. "Auch diese Fälle werden wir uns anschauen, werden diese prüfen und sorgen im berechtigten Fall für Abhilfe."
Eines der gravierendsten Probleme ist nach Darstellung der Organisationen derzeit, dass die Entscheidungen oft nicht von den Behördenmitarbeitern gefällt werden, die auch in den Anhörungen sitzen. Per Mausklick würden die Gesprächsprotokolle in Entscheidungszentren abgegeben, kritisierte der Asylanwalt Reinhard Marx. Der unmittelbare Eindruck des Gesprächs sei aber die Basis für eine Entscheidung, sagte er. Marx hält die Trennung von sogenannter Ermittlung und Entscheidung für nur schwer vereinbar mit den rechtlichen Vorgaben.
Zweites großes Problem ist in den Augen der Organisationen die mangelnde Ausbildung der Dolmetscher. Aussagen der Asylsuchenden würden oft verkürzt dargestellt, sagte Diakonie-Referentin Katharina Stamm. Es gebe keine Schulungen für die Sprachmittler, das müsse sich ändern, sagte sie. Pro Asyl berichtete von einem Fall, in dem der Dolmetscher direkt Einfluss genommen habe, indem er Schilderungen über die Ermordung einer christlichen Frau im Haus der Mutter der Antragstellerin abgewürgt habe. Dies sei kein Einzelfall, erklärten die Organisationen.
"Wir wissen, dass sich das Bundesamt in einer historisch bisher einmaligen Situation befindet und sehen mit großer Anerkennung die Leistung, diese Herausforderung zu meistern", sagte Diakonie-Vorstand Maria Loheide. Sie begrüßte zügige Verfahren, mahnte aber, dies dürfe nicht zulasten der Qualität gehen.
Aufgrund des großen Andrangs von Flüchtlingen kam das für Asylanträge zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im vergangenen Jahr der Bearbeitung bei weitem nicht mehr hinterher. Die Zahl der Mitarbeiter wurde seither verdreifacht. Amtsleiter Weise hat zudem die Einrichtung von Ankunftszentren auf den Weg gebracht, in denen möglichst innerhalb von 48 Stunden Antragstellung, Anhörung und Entscheidung vonstatten gehen sollen.
Das geschieht nach den Schilderungen mitunter auch ohne Rücksicht auf die persönlichen Umstände. Marx berichtete von einer Familie, die angehört werden sollte: Die Frau war hochschwanger, musste am Morgen der Anhörung zur Entbindung ins Krankenhaus gebracht werden. Ihr Mann und die weiteren Kinder mussten dennoch im Zentrum bleiben und zur Anhörung, während sich die Frau später sogar rechtfertigen sollte, warum sie nicht erschien. "Einfachste Kriterien der Verfahrensgerechtigkeit werden missachtet", kritisierte Marx. Die Organisationen wollen nun über Verbesserungen in den Verfahren mit dem Bundesamt ins Gespräch kommen.