Ausgabe 42/2016 - 21.10.2016
Berlin, Schwerin (epd). Die Justizministerkonferenz der Länder bearbeitet ein Feld, das schon vor 39 Jahren bestellt wurde: Es geht um die heikle Frage, ob und wie Strafgefangene, die viele Jahre hinter Gittern arbeiten, in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden können. Ein Plan, der bereits im Strafvollzugsgesetz 1977 festgeschrieben war. Doch dabei blieb es, denn ein Bundesgesetz wurde nie erlassen. Wohl nicht zuletzt aus Kostengründen. Bei der nächsten Justizministerrunde am 17. November geht die Debatte in die nächste Runde.
Seit dem Vorjahr befindet sich das zählebige Projekt wieder auf der politischen Agenda, auch dank der Initiative der Justizministerin aus Mecklenburg-Vorpommern, Uta-Maria Kuder (CDU). "Wegen der Aktualität des Themas Rente schien mir der Zeitpunkt günstig, um auch über die bislang gesetzlich nicht verpflichtend einbezogenen Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten zu sprechen", sagte die Ministerin dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Die Altersvorsorge gehört zu jedem Leben dazu. Auch Gefangene müssen die Möglichkeit haben, Rentenbeiträge einzuzahlen." Sie sehe das als wichtigen Beitrag zur Resozialisierung an.
Doch ihre Ministerkollegen zeigten sich nicht eben entscheidungsfreudig. Sie vertagten bei ihrem Treffen im Juni 2015 eine schnelle Entscheidung - und beriefen einen Ausschuss ein. Darin sieht das Grundrechtekomitee einen Teilerfolg seiner Bemühungen, einstigen Gefangenen und Sicherungsverwahrten einen Rentenanspruch zu ermöglichen: "Endlich ist die Tür zu einer Lösung wieder aufgestoßen", freute sich das Komitee.
Umso größer war dessen Frust, als es ein Jahr später in Nauen in Brandenburg nicht zu der erhofften positiven Entscheidung der Ressortchefs kam. Zwar lag das Ergebnis der Beratungen im Strafvollzugsausschuss der Länder vor, doch wurde die Bundesregierung noch nicht aufgefordert, per Gesetz die Gefangenen in die Rentenkasse einzubeziehen. Zuvor gebe es noch Klärungsbedarf mit Blick auf die Finanzen, hieß es. Ein weiterer Ausschuss, gebildet von den Finanz- und Sozialministern der Länder, soll die Kosten des heiklen Unterfangens klären, für das der Strafvollzugsausschuss mehrere Modelle vorgelegt hat.
Martin Singe vom Grundrechtekomitee nennt das ein "unwürdiges Spiel auf Zeit". Das Vertrauen in den Rechts- und Sozialstaat werde durch solche Verzögerungsentscheidungen nicht gestärkt. Aber: "Nun gilt es, den politischen Kampf fortzusetzen."
Einer der Fürsprecher der Reform ist der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, der für sich in Anspruch nimmt, viel Expertise zu bündeln. Er spricht von einem "lange vernachlässigten sozialpolitischen Thema" und ruft die Länder auf, den Weg für die Rente für Gefangene freizumachen.
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe wirbt für die Rentenzahlung. "Die Ausgrenzung aus der Alterssicherung stellt den Resozialisierungsgedanken auf den Kopf", sagt Geschäftsführer Klaus Roggenthin. Eine Freiheitsstrafe dürfe keine negativen Folgen über die Zeit der Haft hinaus haben: "Aus dem Sozialstaatsprinzip, dem Gleichheitsgrundsatz und dem Würde-Prinzip des Grundgesetzes leitet sich ebenfalls die Notwendigkeit der Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung ab."
Das sah das Bundesverfassungsgericht 1998 anders und bestätigte deren Ausschluss aus der Rentenkasse. Das Grundgesetz "zwingt nicht zu einer Ausdehnung auf Pflichtarbeit im Strafvollzug." Dass Häftlinge bei den Rentenantwartschaften außen vor bleiben, wird damit begründet, dass ein Grundmerkmal für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme ist. Das ist bei Arbeiten hinter Gittern aber nicht der Fall.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamt aus dem Vorjahr waren durchschnittlich rund 63.000 Personen in Haft. Daten zu ihrer bundesweiten Beschäftigungsquote gibt es nicht, sie liegt zwischen 50 und 77 Prozent.
Die Kosten, die die Länder im Falle der Einführung der Rentenanwartschaft zu tragen hätten, hat der Deutsche Caritasverband errechnet. Er geht von bis zu 198 Millionen Euro pro Jahr aus, je nachdem, welche Bemessungsgrundlage gewählt wird. Für ihre Kalkulation ging die Caritas davon aus, dass die Beschäftigungsquote der Häftlinge zwischen 55 und 60 Prozent liegt. Aber: Langfristiges Ziel müsse es sein, die Löhne der Häftlinge so weit anzuheben, dass sie eigene Rentenbeiträge bezahlen können.
Eine Kosten-Nutzen-Rechnung der Rentenpläne aufzumachen, ist nicht leicht. Zum einen, weil auf der Einnahmeseite oft außer acht gelassen wird, dass die Arbeit der Häftlinge zu Gewinnen der Länder führt. So erzielt etwa Nordrhein-Westfalen durch Warenproduktion und Dienstleistungen von Inhaftierten laut Grundrechtekomitee rund 50 Millionen Euro jährlich. Und: Rentenzahlungen an die Ex-Gefangenen würden andere Sozialetats maßgeblich entlasten, etwa bei der Grundsicherung im Alter.
Dennoch ist klar, dass eine Reform zunächst viel Geld kostet, das nicht leichtfertig ausgegeben wird. Bis zur nächsten Justizministerkonferenz im November haben die Experten viel zu berechnen. Ob dann schon eine Entscheidung der Minister pro Rente fällt, ist offen. Kuder: "Das wird vom Ergebnis der Arbeitsgruppe abhängen." Und das bleibe abzuwarten.