sozial-Politik

Flüchtlinge

Wohnsitzzwang für Flüchtlinge weiter in der Kritik




Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Augsburg.
epd-bild/Annette Zöpf
Bis zur Sommerpause will die Koalition ihr Integrationsgesetz durch den Bundestag bringen. Bei Experten stößt die Zielrichtung des Gesetzes weitgehend auf Zustimmung. Bei der Wohnsitzauflage überwiegt aber weiter Skepsis. Auch die Diakonie ging auf Distanz.

Die geplante Wohnsitzzuteilung bei anerkannten Flüchtlingen stößt bei Experten weiter auf Widerstand. In einer Anhörung am 20. Juni im Bundestag kritisierten Vertreter von Wohlfahrtsverbänden und Anwälten die Regelung, die in den Augen der großen Koalition verhindern soll, dass Flüchtlinge vor allem in Ballungsräume ziehen und sich dort Ghettos bilden. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge äußerte sich skeptisch über die Umsetzung der Wohnsitzauflage, auch wenn es die Idee grundsätzlich unterstützt.

Die Behörde verwies in ihrer schriftlichen Stellungnahme an den Ausschuss für Arbeit und Soziales auf einen "erheblichen Aufwand" bei Behörden und Gerichten, weil private und öffentliche Interessen abgewogen werden müssten. Dabei vermutet das Bundesamt je nach Region Schwierigkeiten: "Während verfügbarer Wohnraum gerade im ländlichen Raum relativ leicht zu gewinnen sein wird, kann sich dies dort für Arbeitsplätze, geeignete schulische Einrichtungen und sonstige Betreuungsangebote und nicht zuletzt für gezielte Integrationsmaßnahmen als eher schwierig erweisen." In städtischen Ballungsräumen sei das Problem vermutlich umgekehrt.

Anwalt sieht Verstoß gegen Flüchtlingskonvention

Berthold Münch vom Deutschen Anwaltverein betonte vor den Abgeordneten, die Wohnsitzzuweisung sei nach seiner Einschätzung nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar, die auch anerkannten Flüchtlingen Freizügigkeit garantiere. Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit argumentierte mit Verweis auf Erkenntnisse bei Spätaussiedlern, für die ebenfalls eine Wohnsitzauflage galt, solch eine Regelung erschwere zunächst Integration. 60 Prozent der Flüchtlinge fänden Arbeit über Familie und Freunde. Auch die Kirchen argumentierten, die Wohnsitzauflage zerreiße Netzwerke, die bei der Integration Asylsuchender helfen können.

Die Wohnsitzzuteilung ist Teil des Integrationsgesetzes von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), das nach dem Willen der Koalition noch bis zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause in knapp drei Wochen vom Bundestag verabschiedet werden soll. Im Kern geht es um mehr Integrationsangebote für Flüchtlinge. Unter anderem ist ein Programm mit 100.000 gemeinnützigen Jobs für Asylsuchende geplant. Auf der anderen Seite sollen Flüchtlinge mit der Kürzung von Leistungen bestraft werden, wenn sie verpflichtende Angebote wie Kurse und Arbeitsmaßnahmen nicht wahrnehmen.

Zielrichtung des Gesetzes stößt meist auf Zustimmung

Die Zielrichtung des "Förderns und Forderns" stieß bei den meisten Sachverständigen auf Zustimmung. Vertreter von Arbeitgebern, Industrie und Bundesagentur für Arbeit begrüßten zudem die vorgesehene Ausweitung der Ausbildungsförderung auf Flüchtlinge sowie die Garantie für ein Bleiberecht für die Dauer einer Ausbildung und bei einem Anschlussvertrag für zwei Jahre darüber hinaus.

Kritik äußerte auch Diakoniepräsident Ulrich Lilie. Er sprach am 21. Juni in Berlin von einem wenig ambitionierten Gesetz, das den "Geist des Misstrauens" atme. Der Verbandschef kritisierte die geplanten drastischen Sanktionen für Flüchtlinge, die nicht an Integrationsangeboten teilnehmen. Das Gesetz unterstelle damit mangelnden Integrationswillen. Die Erfahrungen der Diakonie in ihren Einrichtungen deutschlandweit zeigten aber das Gegenteil.

Diakonie für mehr Kursangebote

Zudem müssten mehr Integrationsangebote gemacht werden, sagte Lilie unter Verweis auf oftmals fehlende Plätze in Integrationskursen. "Bei der aktuellen Unterbringungssituation mit Sanktionen zu drohen, ist bestenfalls ahnungslos, schlimmstenfalls populistisch", kritisierte er.

Lilie forderte einen Paradigmenwechsel bei der Integration. Sie beginne in Kopf und Herzen, sagte er. "Wer die Menschen ausschließlich als Bedrohung ansieht, wird kaum Konzepte entwickeln, wie man ihnen die Ankunft erleichtert", sagte der Präsident des Wohlfahrtverbands.

Corinna Buschow

« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

Ministerin sieht Qualität in der Pflege gesichert

Der rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) hat sich erneut hinter die Pflegeeinrichtungen im Land und deren Mitarbeiter gestellt. "Wir sollten uns dagegen wehren, dass die Arbeit der Pflegenden immer wieder schlechtgeredet wird", sagte sie am 23. Juni in der Fragestunde des Mainzer Landtags. Anders als in jüngsten Presseberichten behauptet, gebe es im Land kein generelles Qualitätsproblem in der Pflege, und auch die Kontrolle funktioniere. Mit der größeren Öffnung von Heimen zur jeweiligen Nachbarschaft, der Begrenzung der Leiharbeit und mit Aufnahmestopps für personell schlecht ausgestattete Heime seien im Land wichtige Schritte erfolgt.

» Hier weiterlesen

74 Millionen Euro für die gesundheitliche Selbsthilfe

Für die Förderung der gesundheitlichen Selbsthilfe stehen nach Angaben der Bundesregierung in diesem Jahr rund 74 Millionen Euro zur Verfügung. Diese Förderung der Akteure in der Selbsthilfe sei im internationalen Vergleich beispiellos, heißt es in der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, teilte der Bundestag am 23. Juni in Berlin mit.

» Hier weiterlesen

6.000 Flüchtlinge warten weiter auf Antragstermin

In Rheinland-Pfalz halten sich zurzeit noch rund 6.000 Flüchtlinge auf, die wegen des Personalmangels beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) keinen Asylantrag stellen konnten. Mittlerweile sei eine Vereinbarung mit der BAMF-Außenstelle im Saarland getroffen worden, nach der dort auch Anträge aus Rheinland-Pfalz bearbeitet werden sollen, sagte Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) am 22. Juni im Mainzer Landtag.

» Hier weiterlesen