Ausgabe 06/2016 - 12.02.2016
Stuttgart (epd). Auf ein gelegentliches Glas Rotwein möchte Rolf Mainherr (Name geändert) einfach nicht verzichten. "Zu einem schönen Essen ist das für mich Genuss", sagt der 60-jährige Frührentner. Doch er weiß auch sehr gut, wohin das führen kann, wenn man nicht aufpasst. "Früher habe ich zwei bis drei Flaschen am Tag getrunken und war dann meist nicht mehr ansprechbar." Geholfen haben ihm eine Klinik und die Caritas, die ihm beibrachten, das Trinken zu kontrollieren.
Auch bei Bernhard Täubert (Name geändert) hat es eines Tages "klick" gemacht. Sein Arbeitgeber und seine Partnerin hätten gestreikt. Die Firma habe ihn "heimgeschickt", weil er zu viel trank. Da merkte er, dass es Zeit war, etwas zu ändern - und fand Hilfe bei der Caritas.
Abstinenz sei für viele Abhängige die erfolgversprechendste Möglichkeit, ihre Alkoholsucht zu bewältigen, sagen Lana Schaich, psychosoziale Beraterin für Suchtkranke der Caritas Stuttgart, und ihre Kollegin Susanne Richter-Göttling. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten jedoch seit Jahren, dass manche Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit sehr wohl lernen könnten, ihren Konsum zu reduzieren und zu kontrollieren.
Die Kursteilnehmer treffen sich an zehn Abenden. Zuerst wird per Fragebogen erhoben, wie hoch der Alkoholkonsum ist und ob schon eine Sucht vorliegt. "Erst danach sollte der Teilnehmer eine Entscheidung treffen", sagt Harald Sichler, Sozialarbeiter im Klinikum. In den weiteren Sitzungen bekommen sie dann das nötige Rüstzeug, um ihr selbstbestimmtes Ziel zu erreichen.
Sie lernen beispielsweise, ein Trinktagebuch zu führen. Darin soll neben der Zahl der Alkoholeinheiten und der Art des Alkohols auch eingetragen werden, in welchem Umfeld getrunken wurde. Dann legen die Teilnehmer ihre Ziele fest und bekommen Tipps. Dazu gehört etwa, dass sie vor jedem alkoholischen Getränk ein großes nichtalkoholisches zu sich nehmen. Zudem lautet der Rat, keinen Alkohol vor 18 Uhr zu trinken und sich eine alkoholfreie Zone zu schaffen. Zum Kursende hin wird dann über ein Belohnungssystem, die Freizeitgestaltung und die Problembewältigung gesprochen.
Der Kurs sei ein toller Start gewesen, sagt Jochen Hilbert (Name geändert) im Rückblick. Der 65-Jährige hat vor zwei Jahren am Programm des Klinikums teilgenommen, obwohl er sich mit rund einer Flasche Wein pro Tag nicht als süchtig betrachtete. Ein großer Vorteil des Angebots sei es, dass sich die Teilnehmer ihre Ziele selbst setzten, sagt Sozialarbeiter Sichler: "Wenn die Vorgabe von außen kommt, hält sie oft nicht."
Erörtert werden auch die Ursachen des Alkoholkonsums. "Bei mir hatte es psychische Gründe. Immer wenn ich unter Druck geraten bin, wenn ich unter Stress und Schlaflosigkeit litt, dann habe ich getrunken", erzählt Mainherr. Bei älteren Menschen spiele oft Einsamkeit eine Rolle. Die Kurse sind mit 350 beziehungsweise 385 Euro nicht ganz billig. "Aber wenn man seinen Konsum wirklich reduziert, hat man das schnell wieder drin", sagt Sichler.
Bernhard Täubert trinkt heute nach eigenen Angaben rund ein Drittel weniger Alkohol. Rolf Mainherr verzichtet an fünf bis sieben Tagen die Woche ganz. Aber es ist Arbeit - immer wieder, Tag für Tag. Das macht Jochen Hilbert deutlich: "Ich muss beim Thema Alkohol ständig in Hab-Acht-Stellung sein und kann es nicht einfach so laufen lassen."