Koblenz (epd). Ein Jahr nach Beginn des weltweit ersten Prozesses wegen Staatsfolter in Syrien vor dem Oberlandesgericht Koblenz hat die Nebenklage eine positive Zwischenbilanz gezogen. "Die Beweise, die gehört wurden, sind sehr aussagekräftig", sagte der Vertreter der Nebenkläger, Patrick Kroker von der Berliner Menschenrechtsorganisation "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR), dem Evangelischen Pressedienst (epd). Anhand von Dokumenten, Fotos und Zeugenaussagen habe das Foltersystem in Syrien als Ganzes aufgedeckt werden können.
"Es ergibt sich ein sehr starkes Bild von der Gesamttat, dem Angriff gegen die Zivilbevölkerung und der Staatsfolter in Syrien", betonte er. Wenn der Prozess weiterhin so zügig verlaufe wie bisher, sei noch in diesem Jahr mit seinem Abschluss zu rechnen.
In dem weltweit bislang einmaligen Koblenzer Prozess mussten sich seit dem 23. April 2020 zwei frühere syrische Geheimdienst-Mitarbeiter wegen Staatsfolter vor einem Gericht verantworten. Ende Februar verurteilte das Gericht bereits einen der Angeklagten, Eyad A., zu viereinhalb Jahren Haft. Der Prozess gegen den Hauptangeklagten Anwar R. wird fortgesetzt.
Er sei bislang sehr zufrieden mit dem Verlauf des Prozesses, sagte Kroker. Positiv sei auch, dass das Gericht dem Antrag stattgegeben habe, sexualisierte Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die Anklage aufzunehmen. "Das war für uns ein ganz großer, wichtiger Schritt," sagte der Rechtsanwalt, der neun Nebenkläger in dem Verfahren vertritt.
Prozess für arabische Öffentlichkeit kaum zugänglich
Kritik äußerte Kroker an der aus seiner Sicht mangelnden Zugänglichkeit des Prozesses für die arabische Öffentlichkeit. Das Koblenzer Gericht hatte zwar aufgrund einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht die vom ECCHR geforderte arabische Übersetzung des Prozesses eingerichtet. Allerdings sei sie nur für eine begrenzte Zahl akkreditierter Journalisten zugänglich. "Aus unserer Sicht spräche nichts dagegen, diesen Kreis zu erweitern." Zudem kritisierte Kroker, dass das Gericht eine Audiodokumentation des Prozesses ablehne, die später für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden könnte. "Das Verfahren hat einen historischen Wert. Da vergibt man eine Chance."
Nach der Verurteilung von Eyad A. müsse nun noch die Rolle des Hauptangeklagten Anwar R. herausgearbeitet werden, sagte Kroker. Ihm legt die Bundesanwaltschaft zur Last, zwischen April 2011 und September 2012 für die Folter von mindestens 4000 Menschen und die Tötung von 58 Menschen verantwortlich gewesen zu sein.
Die beiden in Koblenz angeklagten Ex-Geheimdienstler hatten Syrien laut Bundesanwaltschaft vor rund sieben Jahren verlassen und waren 2014 beziehungsweise 2018 nach Deutschland gekommen. Sie wurden im Februar 2019 festgenommen. Nach dem Weltrechtsprinzip können Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit überall geahndet werden, ganz gleich, wo die Taten verübt wurden.