Dortmund (epd). Die Religionspädagogin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor sieht Deutschland auf dem Weg zu einer demokratischen Minderheitengesellschaft. Diesen Prozess gelte es so zu gestalten, dass dabei keine soziale Gruppe verdrängt oder ausgegrenzt werde, sagte Kaddor am 21. April bei einer Online-Veranstaltung. "Alle müssen an einem Tisch sitzen und über das diskutieren, was uns hier zusammenhält", forderte die Wissenschaftlerin, die auf Einladung des Evangelischen Bildungswerks sprach.
Eine intensive Debatte über deutsche Identität sei "gerade jetzt bitter nötig", mahnte Kaddor. Die dazu nach dem Zweiten Weltkrieg definierten Vorstellungen seien längst von der Wirklichkeit überholt. Allen Versuche, eine "deutsche Leitkultur" festzulegen, erteilte sie dabei eine Absage. Sie würden schnell zu Klischees führen wie "Bier, Sauerkraut, Volksmusik" oder auch "Pünktlichkeit und Fleiß", erklärte die Wissenschaftlerin. Auch das Christentum sei keine verbindende gesellschaftliche Klammer, denn es weiche immer stärker einem säkularen Humanismus, sagte die Religionspädagogin. Zugleich bleibe es aber ein wichtiger Teil Deutschlands: "Jeder hier Lebende sollte es kennen."
"Der nationalistische Glaube ist Selbstbetrug"
Der nationalistische Glaube an die "Reinheit" eines Volkes nach dem Prinzip "deutsch ist, wer deutsche Eltern hat" ist ihrer Ansicht nach dagegen Selbstbetrug, weil zahlreiche Deutsche nichtdeutsche Vorfahren haben: "Das menschliche Genom ist keine Grundlage für soziales Zusammenleben." Schon heute, so Kaddor, sei Deutschland ein ethnisches Mosaik. Gebraucht werde deshalb ein Einwanderungs- und Integrationsministerium. Sie betonte, dass zugewanderte Menschen sich an die Grundrechte halten müssen, die das deutsche Grundgesetz definiert.
Lamya Kaddor, die als Kind syrischer Eltern in Deutschland 1978 im westfälischen Ahlen geboren wurde, engagiert sich sowohl gegen Islamismus als auch gegen Islamfeindlichkeit. Als Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes wird sie von militanten Muslimen gleichermaßen angefeindet und bedroht wie von Rechtsradikalen. Die Muslimin will sich davon nicht einschüchtern lassen. "Hassprediger aller Art sind eine Minderheit", sagte sie. Rassismus komme außerdem in allen Gesellschaften vor. Aufgabe sei es, die Extrempositionen an den Rand zurückzudrängen, betonte Kaddor, die bei der Bundestagswahl im September für die Grünen kandidiert.