Das Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft kann nach Worten der westfälischen Sozialpfarrerin Heike Hilgendiek nur ein erster Schritt sein. "Darüber hinaus müssen alle Regelungslücken geschlossen werden und mindestens EU-weite Regelwerke geschaffen werden, die menschenwürdige und gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen herstellen", sagte Hilgendiek in Schwerte dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit Blick auf massiven Corona-Ausbruch bei der Großschlachterei Tönnies mit rund 1.300 Infektionen.

Hilgendiek kritisiert "Formen moderner Sklavenarbeit"

Über die bisher angekündigten Maßnahmen hinaus sei die grundsätzliche Diskussion der Produktionsbedingungen überfällig: "Hintergründe und grundsätzliche gesellschaftliche Orientierungen, die zu dieser Form moderner Sklavenarbeit führen, müssen hinterfragt werden". Der Markt dürfe nicht allein darüber entscheiden, welche Produkte verkauft werden, erklärte die Landespfarrerin des westfälischen Kirche für Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Er müsse durch rechtliche Rahmenbedingungen gezügelt werden, die prekäre Arbeit, Ausbeutung von Mensch und Tier und die weitere Gefährdung des Planeten verhindern.

Eine an Masse und damit an Massentierhaltung orientierte Fleischproduktion stehe dem Menschen- wie dem Tierwohl entgegen, kritisierte Hilgendiek. Eine ungebrochen auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft führe offenbar dazu, dass Ungerechtigkeit und Menschenverachtung auch in Deutschland nicht nur hingenommen, sondern geradezu gefördert würden. Die internationale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen in ihrer auf Export ausgerichteten Produktion basiere auf Lohndumping und Ausbeutung, erklärte Hilgendiek. Die verbindlichen Rechte sozialversicherungspflichtig Beschäftigter würden umgangen. Anstelle einer Konzentration der Fleischindustrie auf wenige Unternehmen sei eine regionale Landwirtschaft und ein regionaler Lebensmittelmarkt nötig, der zudem auf hochwertige und fair produzierte Fleischprodukte setze.

Die hohen Corona-Infektionszahlen bei Mitarbeiten in der Fleischindustrie hätten "die unzureichenden, gefährlichen und gefährdenden, skandalösen Arbeits- und Lebensbedingungen erneut entlarvt", sagte Hilgendiek weiter. Besonders die Situation der Arbeitnehmer aus Ost- und Südosteuropa sei mehr als prekär. Die aktuelle Situation trage dazu bei, die Grundsatzdiskussion auf der einen und die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Mitarbeitenden auf der anderen Seite zu fordern und zu fördern. "Diese Gelegenheit darf nicht ungenutzt bleiben", mahnte Hilgendiek.