Wie ausgestorben wirkt der Campus, erzählt Student Marc Gschlössl. Normalerweise tummelt sich ein Großteil der mehr als 45.000 Studierenden auf dem Gelände der RWTH Aachen, gerade zum Semesterwechsel: Sie schreiben Klausuren, bereiten sich in der Bibliothek vor oder absolvieren Praktika in den Laboren. Doch das Coronavirus legt auch das Leben an der Uni lahm: Prüfungen sind abgesagt, der Start der Veranstaltungen auf dem Campus auf den 20. April verschoben.

Falls auch danach noch Kontaktverbote gelten, arbeiten die deutschen Hochschulen auf Hochtouren daran, ihre Lehre noch stärkern ins Netz zu bringen. Die Fernuniversität Hagen konnte ganz normal zum April in ihr Sommersemester starten. Die Uni kündigte zudem an, ihre Expertise im zeit- und ortsunabhängigen Studium mit den anderen Hochschulen zu teilen.

Interaktive Planspiele, Video-Tutorials, Vorlesungen mit Audio-Begleitung

Die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe baut ihr Online-Angebot nach eigenen Angaben massiv aus, die Wirtschaftswissenschaften bieten etwa interaktive Planspiele, Video-Tutorials und Vorlesungen mit Audio-Begleitung im Internet an. Auch die Universität Duisburg-Essen arbeitet "fieberhaft daran, wie wir das kommende Semester möglicherweise ganz 'in räumlicher Distanz' bewältigen können", wie Sprecherin Ulrike Bohnsack mitteilt. Über mögliche Online-Prüfungen stimmten sich alle NRW-Universitäten und das Land gemeinsam ab.

Aus studentischer Sicht ist dieser Digitalisierungsschub auch eine Chance: "Wir haben die große Hoffnung, dass viel ausprobiert wird", sagt Marc Gschlössl, der auch Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta) der RWTH Aachen ist. Studenten würden ebenfalls eingebunden, die Video-AG der Fachschaft Informatik filme etwa Vorlesungen. Jedoch gibt er zu bedenken: "Die Hochschule ist gigantisch groß, es wird sehr schwer, das gesamte Lehrangebot online zu bringen." Allein an der RWTH seien 700 Prüfungen abgesagt worden.

Asta verzeichnet mehr Nachfrage nach Sozialdarlehen

Manche Studenten können deshalb ihr Studium nicht abschließen, andere haben ihren Studentenjob verloren. Beim Asta fragen deshalb immer mehr junge Menschen nach einem Sozialdarlehen, das die Studierendenvertretung zinsfrei vergibt. Bis zu 40 Mal die Woche beraten nach den Angaben des Asta-Chefs die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Asta derzeit zum Thema Darlehen. Etwa drei der Ratsuchenden entschieden sich, einen Antrag auf das Darlehen zwischen 300 und 3.000 Euro zu stellen. Normalerweise wenden sich ein oder zwei Menschen mit Anfragen wegen des Darlehens an das Sozialreferat.

"Die Studierenden haben noch nicht die großen finanziellen Probleme, aber wir prognostizieren, dass die kommen werden", sagt der 22-Jährige. Ein oder zwei Monatsmieten könnten viele auch ohne Job auffangen, doch danach werde es schwierig. Die Anfragen bewegten sich im Moment zwischen reiner Information und Studenten, die berichten: "Bei mir brennt alles, ich war vorher schon in Geldnöten und jetzt ist das Fass übergelaufen."

Die Initiative "Arbeiterkind" beobachtete bei den Ratsuchenden an ihrem Infotelefon zunächst eine Schockstarre, die sich langsam auflöse, berichtet Katja Urbatsch, die Gründerin der Organisation zur Förderung des Studiums von Erstakademikern in Berlin. Am härtesten getroffen seien Studierende, die sich selbst finanzieren müssten - und das seien mehrheitlich Studierende aus nicht-akademischen Familien.

"Arbeiterkind" schaltet Infotelefon

Langsam kämen auch in NRW mehr Anfragen bei "Arbeiterkind", erzählt Bundeslandkoordinatorin Cara Coenen. "Es ist eine große Verunsicherung zu spüren." Die Studierenden könnten die Bibliotheken und PC-Pools nicht mehr nutzen - und hätten damit auch keinen Zugriff mehr auf aufwendigere und teurere Programme, die sie etwa für ein Architekturstudium bräuchten.

"Arbeiterkind" sei jedoch "ganz normal weiter erreichbar", online und per Telefon, betont Cara Coenen. Engagierte in Bonn und Frankfurt bieten ihre Sprechstunden für Ratsuchende per Skype an, manche treffen sich zum Stammtisch nun online, außerhalb von NRW etwa in Bremen, Leipzig und Karlsruhe.

Blutspenden per Ticket

Auch in Aachen verlagerten die engagierten Studenten ihr Hochschulleben ins Netz, berichtet der Asta-Chef. Auf einer Internet-Seite bündelt der Asta Informationen über Kulturangebote. Kulturschaffende können ihre Angebote online stellen, andere treffen sich zum digitalen Spieleabend oder empfehlen Bücher.

Zudem gibt es die Nachbarschaftshilfe. Fast 300 Menschen bieten auf der Seite des Asta an, Besorgungen für andere zu erledigen. Noch näher kommen sich die Engagierten bei der Blutspendeaktion, die der Asta unterstützt. Täglich "rennen die Leute uns die Bude ein", erzählt Marc Gschlössl. Die Menschen stehen auf dem Campus Schlange, mit etwa zwei Metern Abstand, manche sitzen in der Sonne. Mittlerweile hat der Asta ein Ticketsystem und eine App eingeführt, damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig auflaufen, berichtet der Student der Sprach- und Kommunikationswissenschaften. Zwischen 150 und 200 Menschen kommen pro Tag, um in der Corona-Krise ihr Blut abzugeben.