Sein Stuhl blieb leer: Der in China inhaftierte uigurische Aktivist Ilham Tohti ist am 18. Dezember in Abwesenheit mit dem Sacharow-Preis des Europaparlaments ausgezeichnet worden. Damit würdigte das Parlament den friedlichen Einsatz des Ökonomen für die Rechte der Uiguren und den Dialog mit den Han-Chinesen. Parlamentspräsident David Sassoli sagte bei der Preisverleihung in Straßburg: "Wir hoffen, dass Ilham Tohti freigelassen wird, dass er uns besuchen kommt."

Tohti wurde 2014 wegen angeblichem "Separatismus" zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Angaben von Amnesty International wurde er in Einzelhaft gehalten und gefoltert. Für ihn nahm seine Tochter Jewher Ilham den mit 50.000 Euro dotierten Menschenrechtspreis unter minutenlangem Applaus entgegen. "Ich weiß nicht, wo mein Vater sich befindet", sagte sie in ihrer Ansprache und zeigte ein Foto, das ihn mit der Hand auf dem Herzen abbildete. Zuletzt habe sie 2017 von ihrem Vater gehört, da sei er in einem Gefängnis in Ürümqi gewesen.

"Keine Angst vor Armut"

Der Wirtschaftsprofessor Tohti hatte sich seit zwei Jahrzehnten für die Rechte der Uiguren in China eingesetzt. Die Familie habe kein Geld mehr für Lammfleisch gehabt, weil er das Geld für seine Webseite gebraucht habe, berichtete seine Tochter. "Mein Vater hatte keine Angst vor Armut", wenn er damit der Sache der Uiguren habe dienen können. Stets habe er den friedlichen Ausgleich gesucht. Zuletzt habe sie ihren Vater 2013 am Flughafen in Peking gesehen, als sie zum Studium in die USA reiste.

Jewher Ilham erhob schwere Vorwürfe gegen die chinesische Führung: "Heute gibt es für die Uiguren in China keine Freiheit", sagte sie. Viele seien in der Region Xinjiang in sogenannten Umerziehungslagern inhaftiert, wo sie ihrem Glauben und ihren Traditionen abschwören sollten. Die Tochter des Preisträgers sprach von "Konzentrationslagern" und prangerte auch die Unterdrückung von Usbeken, Kasachen, Tibetern und Menschenrechtsanwälten in China an. Selbst in Washington habe sie Angst, weil ihr Computer auch dort gehackt werde.

Europapolitiker der Grünen, der CDU und der SPD begrüßten die Auszeichnung Ilham Tohtis. "Das Europäische Parlament hat mit eindeutiger Kritik an Chinas Unterdrückungspolitik in Xinjiang sehr entschieden Position bezogen", sagte der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der China-Delegation des Parlaments. Michael Gahler (CDU), außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, kritisierte: "China schwingt sich zur Weltmacht auf und tritt gleichzeitig die Rechte von Minderheiten mit Füßen."

In Lagern festgehalten

Dietmar Köster, außenpolitischer Sprecher der Europa-SPD, warnte: "Die chinesische Regierung trachtet danach, die Uiguren in ihrer Sprache, Kultur und Existenz als Ethnie zu zerstören." Nach Angaben von Amnesty International werden Schätzungen zufolge eine Million Uiguren und andere Muslime in Lagern festgehalten. Als Grund gebe Peking an, religiösen Extremismus und terroristische Aktivitäten zu verhindern.

Das Europaparlament vergibt den Sacharow-Preis für geistige Freiheit seit 1988. Er ist nach dem sowjetischen Physiker, Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow (1921-1989) benannt. Preisträger im vergangenen Jahr war der damals in Russland inhaftierte und inzwischen freigekommene ukrainische Filmemacher Oleg Senzow.

Weitere Nominierte 2019 waren eine Gruppe kenianischer Schülerinnen, die eine App gegen weibliche Genitalverstümmelung entwickelt haben, und drei brasilianische Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, darunter die ermordete Politikerin und Feministin Marielle Franco.