Wenn der Kongolese Ilson all die Länder aufzählt, die er in den vergangenen Monaten durchquert hat, kann er es selbst kaum glauben: Äthiopien, Brasilien, Ecuador, Kolumbien, Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras, Guatemala. Seit April dieses Jahres ist er unterwegs, und nun hängt er ausgerechnet in der südmexikanischen Grenzstadt Tapachula fest. Der schlanke junge Mann wartet darauf, dass er seinen Weg Richtung Norden fortsetzen kann. Ob ihm die Behörden je die nötige Papiere ausstellen, steht jedoch in den Sternen.

So geht es auch Charly aus Ghana. "Ob in Panama oder Costa Rica, überall haben wir uns bei der Migrationspolizei gemeldet und die Dokumente bekommen", sagt er. "Warum nicht in Mexiko?" Ilson und Charly, die ihre Nachnamen nicht genannt haben möchten, wollen nach Kanada oder in die USA, um dort zu arbeiten. Doch nun fristen sie seit Monaten ihr Dasein vor dem Auffanglager "Siglo 21" in einem Außenbezirk von Tapachula, so wie viele weitere Afrikanerinnen und Afrikaner, die aus ihrer Heimat vor Verfolgung oder Armut geflüchtet und nach Lateinamerika geflogen sind.

"Sie haben uns alles abgenommen"

Sie schlafen unter provisorisch gespannten Plastikplanen, in Billigzelten oder einfach auf der Straße. "Wenn es regnet, stehen wir auf und bleiben stehen, bis der Regen aufhört", sagt Charly. Die sanitären Anlagen sind 20 Minuten entfernt. Für ein Hotel oder eine Wohnung fehlt ihm das Geld, in den Herbergen ist kein Platz. Überdies wurden Charly und seine Mitreisenden auf dem Weg von Kolumbien nach Panama überfallen. "Sie haben uns alles abgenommen", erzählt er.

Einen Monat hat er gebraucht, um den Regenwald zu durchqueren. Viele sind in dem von Kriminellen kontrollierten Dschungel gestorben, andere wurden krank. Ilson hat dort seinen Vater verloren. "Aber die gesamte Strecke in Südamerika ist sehr gefährlich", erklärt der Kongolese. Dennoch bewegen sich immer mehr Afrikaner auf diesem Weg nach Norden.

Die Grenzstadt ist Nadelöhr

Etwa 3.500 Menschen aus Ghana, Kongo, Kamerun und weiteren Staaten des Kontinents hängen derzeit in Tapachula fest. Die Stadt nahe der guatemaltekischen Grenze ist ein Nadelöhr: Hunderttausende Flüchtlinge und Migranten, mehrheitlich aus Mittelamerika, Kuba und Haiti, kommen dort an. Tendenz steigend. Die Zahl der Asylanträge sei seit 2013 von 1.900 auf 40.000 jährlich gestiegen, sagt die Leiterin des dortigen Büros der Flüchtlingsbehörde Comar, Alma Delia Cruz Márquez. Die Migrationsbehörde INM spricht von 460.000 Menschen, die im ersten Halbjahr 2019 ohne Einreisepapiere ins Land kamen - die meisten über Tapachula.

Doch seitdem der mexikanische Staatschef Andrés Manuel López Obrador sich dem Druck von US-Präsident Donald Trump beugte und einen Pakt zur Migrationsbekämpfung mit Washington vereinbarte, hat sich die Lage für die Schutzsuchenden verschlechtert. Trump hatte mit Strafzöllen gedroht, wenn Mexiko nicht dafür sorgt, dass weniger Migranten und Flüchtlinge an die US-Grenze gelangen. Nun patrouillieren an der mexikanischen Südgrenze 6.000 Nationalgardisten, um illegal Einwandernde aufzugreifen.

Einreisebestimmungen immer restriktiver

Zudem handhaben die Behörden die Einreisebestimmungen immer restriktiver. Nur wer Angehörige in Mexiko hat oder hier Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, bekommt ein "humanitäres Visum", das einen einjährigen Aufenthalt garantiert. "Die einzige Alternative dazu ist, Asyl zu beantragen", erklärt Fermina Rodríguez vom Menschenrechtszentrum Fray Matías de Córdova in Tapachula. Nach Comar-Angaben wurden in diesem Jahr 37,68 Prozent der Anträge genehmigt.

Doch Ilson, Charly und die anderen afrikanischen Migranten wollen kein Asyl in Mexiko. Sie wollen nur durchreisen. Früher war das relativ unbürokratisch möglich. Doch heute sind selbst die wenigen legalen Wege kompliziert. Falsch geschriebene Namen verzögern die Bearbeitung von Anträgen, niemand hilft. "Von was sollen wir leben, wenn wir noch sechs Monate hier festhängen?" fragt sich Charly. "Hier gibt es keine Jobs."

Ständig rassistisch beschimpft

Mitte Oktober beteiligte er sich an einem Marsch von 3.000 Migranten, die sich auf den Weg Richtung Norden gemacht hatten. Doch nur wenige Kilometer hinter Tapachula wurden sie von Nationalgardisten gestoppt. Wer Geld hat, versucht mit Hilfe von Schleppern in Transportern und auf Schleichwegen an die US-Grenze zu gelangen. Oder übers Meer: Vor wenigen Wochen kenterte ein Boot mit 20 afrikanischen Migranten vor der Pazifikküste. Der 39-jährige Emmanuel Chel Ngu ertrank.

Illegal weiterreisen? Für den Kongolesen Ilson ist das eine schlechte Option. Der große schwarze Mittzwanziger würde sofort auffallen - anders als die Menschen aus Honduras, Guatemala oder El Salvador, die sich auf den ersten Blick von vielen Mexikanern kaum unterscheiden. Dass sie aus einem anderen Kulturkreis stammen, bekommen die Afrikaner auch in Tapachula zu spüren. "Sie behandeln uns wie Tiere", sagt er, ständig werde er rassistisch beschimpft. Früher sei er ein Fan von Mexiko gewesen. Jetzt will er nur hier weg. "Irgendwo hin, wo das Leben sicher ist."