Die westfälische Präses Annette Kurschus sieht durch Hass, Gewalt und eine vergiftete Sprache den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. "Für die Morde von Halle etwa oder den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten sehe ich einen kräftigen Nährboden in der subtilen und offenen Vergiftung unserer Sprache", sagte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen am 18. November vor der Landessynode in Bielefeld. Es grassiere eine "unerträgliche Maßlosigkeit und blinde Emotionalisierung". Diese Sprache habe sich in weiten Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Diskurses eingebürgert.

Gezielte Lüge und Beleidigungen, die Herabsetzung von Minderheiten und politischen Gegnern sowie Drohungen gegen Leib und Leben von engagierten Menschen schlügen "immer öfter um in physische Gewalt bis hin zum Mord", warnte Kurschus, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Sie forderte eine neue Haltung der Anerkennung und Achtung für Menschen, die sich etwa als Kommunalpolitiker, Sanitäter oder Polizisten für das Gemeinwesen einsetzen.

"Wir brauchen eine neue Sorgfalt im Streit"

"Wir brauchen eine neue Sorgfalt im Streit, Respekt im Umgang und eine Sprache, die Präzision über die billige Pointe stellt und Anstand und Argument vor Anrempelung und Attacke setzt", sagte die 56-jährige Theologin vor dem Kirchenparlament. Damit die "Saat von Hass und Verunglimpfung" nicht auch vor den NRW-Kommunalwahlen im September 2020 ausgestreut wird, forderte Kurschus die Gemeinden und Kirchenkreise auf, "lokale Bündnisse zu schmieden für anständigen Streit und respektvolles Ringen". Die beteiligten Politiker, Vereine und Gruppen sollten sich zu Respekt und Fairness verpflichten und Verunglimpfungen, Drohungen und die Ausgrenzung von Minderheiten verbieten.

Alarmiert zeigte sich Kurschus in ihrem Bericht über Erfolge rechtsradikaler Parolen und einen breiten Rückhalt antidemokratischer Kräfte. "Das Vertrauen in unsere Demokratie ist bis ins Mark erschüttert, der Zusammenhalt in unserem Land und erst recht in Europa bröckelt erheblich, der Friede in unserer Welt ist empfindlich in Gefahr", sagte sie. "Das Spiel mit den Ängsten der Menschen, mit ihrer Sehnsucht nach Sicherheit, mit ihrer Suche nach überzeugenden politischen Antworten in einer überkomplexen Welt ist perfides politisches Kalkül."

Rechtspopulismus und rechtsnationaler Terror machten sich bedrohlich breit in Deutschland, beklagte die Präses, die sich nach achtjähriger Amtszeit am Mittwoch zur Wiederwahl stellt. Sie kämen in der Mitte der Gesellschaft mit Macht an die Oberfläche "und reißen andere mit hinein in ihre Dummheit und ihren Wahn". Angesichts dieser Entwicklungen müssten Christen Zivilcourage zeigen und sich mit Juden solidarisieren. Kirchen sollten Orte für konstruktiven Streit und offene Auseinandersetzung sein: "Es gilt, vor Ort mitzumischen und Gesprächsräume zu bieten für lokale und globale Themen."

Appell gegen Hass zum Auftakt

Zum Auftakt der diesjährigen westfälischen Landessynode hatte NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) am 17. November in Bielefeld zur Abgrenzung von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit aufgerufen. "Hass ist keine Meinung", sagte er in einem Grußwort vor dem Kirchenparlament. Der rheinische Präses Manfred Rekowski wies darauf hin, dass es zu den Aufgaben der Kirche gehöre, sich gesellschaftlich und politisch einzumischen. Im Eröffnungsgottesdienst hob der Superintendent des Kirchenkreises Gütersloh, Frank Schneider, die christliche Hoffnung zum Volkstrauertag hervor.

Stamp beklagte "ein verstörendes Wiederaufflammen von Antisemitismus, von Fremdenhass". Dabei würden aus Worten Taten und aus menschenverachtender Propaganda erwachse Gewalt und Mord. "Der Anschlag von Halle hat uns dies vor einigen Wochen auf furchtbare Weise wieder vor Augen geführt", erklärte der stellvertretende NRW-Ministerpräsident laut Redetext vor dem Kirchenparlament von rund 2,2 Millionen Protestanten.

NRW-Integrationsminister: Sozialer Frieden baut auf Toleranz

Angesichts dessen sei gerade die Mitte der Gesellschaft gefordert, klare Haltung zu zeigen und auch rote Linien zu ziehen, betonte der Integrationsminister. Er fügte hinzu, die Weimarer Republik sei "auch an der Ambivalenz des Bürgertums" gescheitert. Unerlässlich für den demokratischen Diskurs und den sozialen Frieden in der Gesellschaft sei auch Toleranz gegenüber Anderen.

Rekowski erklärte vor der Synode, nach der Barmer Theologischen Erklärung sei es Aufgabe der Kirche, "an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten" zu erinnern. Das Themenspektrum reiche dabei von Erziehung und Bildung bis zu Fragen nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die 1934 in Wuppertal verfasste Erklärung, die sich gegen den Einfluss Hitlers und gegen die Irrlehren der "Deutschen Christen" wandte, gilt als wegweisendes theologisches Dokument des 20. Jahrhunderts.

Superintendent Schneider sagte im Eröffnungsgottesdienst, die Hoffnung der Auferstehung reduziere den Menschen in seiner Vergänglichkeit nicht auf die Vergangenheit. In dieser Hoffnung zeige sich tiefer Respekt vor der Würde der Opfer von Gewalt und Krieg. Zugleich ermutigten die biblischen Bilder zum Leben Hier und Jetzt. "Als Christen stehen wir immer wieder zum Leben auf, üben den aufrechten Gang, weil Gott im Regiment sitzt", sagte Schneider.

Die Landessynode ist das oberste Organ der westfälischen Kirche, sie tagt in der Regel einmal im Jahr.